Kapitel 2

Ein Wort

Mumbai

„Sag nichts. Ich habs wieder nicht geschafft, ich weiß.“

„Guter Samir, ich hab noch gar nichts gesagt.“ Und Chayya lacht dennoch. Er ist doch einfach unverbesserlich. Ein Blick zu ihm, dabei ein Nicken in Richtung Eingang und schon marschieren die zwei ins Studio. Zielstrebig auf ihren Raum zu. Auf den Tischen liegt alles für ihre Arbeit. Sie sind gestern nicht fertig geworden. Ja, sie haben mehrere Tische. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was sie alles tun müssen. Sie flitzen von einem zum anderem Tisch, weil einfach nicht alles auf einen passt. Das ist aber gut so, denn sonst würden sie sicher sehr schnell aus dem Konzept kommen. „Wo waren wir stehen geblieben?“, fragt Samir hilfesuchend. „Bei den Farben.“

 

Die zwei müssen den Hintergrund für das nächste CD-Cover einer Sängerin gestalten. Diese Sängerin kennen sie und sie mögen sie sehr. Außerdem lässt die Sängerin nur die zwei an ihre CD-Hülle. Zu diesem CD-Cover kommen dann noch andere Bilder, die sie gestalten müssen, für das CD-Heft, das in vielen CD-Hüllen vorhanden ist. Natürlich müssen die zwei dann noch Bilder von der Sängerin machen. Aber erst mal kommt das Wichtigste und Schwierigste. Denn für das brauchen sie tolle Ideen. Der Hintergrund muss zu den Texten, zur Persönlichkeit der Sängerin passen und zu dem Kleid, oder was auch immer sie anhat beim Fotoshooting. Die zwei mischen allerdings sehr helle Farben, weil sie genau wissen, was der Hintergrund sein soll.

 

„Warum hilfst du nicht?“, will Samir, nach einigen Minuten, wissen. „Weil ich gerade Pink suche.“

„Hier hab ich doch eines.“

„Ja, aber das ist viel zu dunkel. Ich will ein schönes warmes.“

„Na, dann such du mal.“

„Das tue ich gerade. Du könntest mir eigentlich auch helfen.“

„Nein, ich bin am Lila dran. Ich versuche das gerade auf die Leinwand zu bringen. Solltest du das nicht erkennen.“

„Das erkenne ich, aber ich brauche deine Hilfe.“

„Okay, okay. Lass mich nur die Farbe weg stellen... Und schon bin ich da.“

 

Die zwei suchen fleißig. Sie haben bestimmt fünf unterschiedliche Pinktöne schließlich gefunden. Ja, fünf. Und das von Pink. Aber Chayya kann sich nicht entscheiden. „Ich finde die ist zu dunkel und die ist zu hell.“

„Dann nimm die dunklere und misch sie mit dem Weiß, dass ich übrig gelassen hab.“

„Gute Idee, das mach ich.“ Gesagt, getan. Nunja, getan nicht wirklich. Aber so in der Art. Jedenfalls geht Chayya mit dem Pink, das sie nun hat, zu dem Tisch auf dem die weiße Farbe steht. Nun mischt sie und Samir bemalt schon die Leinwand. Bis ihm Chayya unter die Arme greift. Was die zwei Malen kann der Chef dann nach wenigen Minuten auch erkennen. Der war gerade auf dem Weg und daher nun hier drin. Zwei fertige Blumen (Lilien) ragen an der Leinwand empor.

 

„Die werden Alisha sicher gefallen.“

„Davon gehen wir aus.“, lacht Samir. Und Chayya stimmt nickend ein. Der Chef verlässt nach wenigen Minuten in denen sie noch ein paar Worte verlieren, das Zimmer. Er sagte nur, dass sie eher Schluss machen können. Und sonst nichts erwähnenswertes. Samir und Chayya arbeiten allerdings ruhig weiter, vor allem in Ruhe, und lassen sich nicht daran stören, dass sie sich auf früheren Feierabend freuen können. Das tun sie, denn es ist Freitag. Und wer will da schon nicht gerne früher nach Hause? „Ah, das sieht doch gut aus.“

„Suhlst du dich wieder in deiner Arbeit?“ Samir sieht Chayya von der Seite an. Dabei zieht er eine Augenbraue in die Höhe. „Was dagegen?“, will sie dann wissen. Beide beginnen sie zu lachen.

 

Kaum ist die Arbeit fürs Erste geschafft sehen sie sich ihr bisher fertiges Werk einmal von einer gewissen Entfernung an. „Unser Chef hat recht, Alisha wird es gefallen.“

„Und wieder suhlt sie sich in ihrer Arbeit.“ Samir schüttelt fassungslos den Kopf. Chayya lacht darauf hin aber nur. Dann sieht sie auf ihre Armbanduhr. „Was, schon nach vier? Ich glaub wir sollten schluss machen.“

„Aber normal machen wir doch erst um halb sechs Schluss.“

„Der Chef macht doch zu.“

„Oh, stimmt. Dann aber schnell.“ Die zwei packen ihre Sachen. Die Leinwandfarbe muss eh noch trocknen. Außerhalb des Gebäudes verabreden sie sich wieder und gehen dann, wie gewohnt, getrennte Wege.

 

***

 

Samir kommt im Umkleideraum an und Ajay erschreckt ihn fast, da er neben ihn seinen Spind zu macht. „Da bist du ja endlich. Was hat so lange gedauert?“

„Erstens: erschreck mich nie wieder so. Zweitens: Warum endlich? Ich bin viel zu früh. Und drittens: Was bitte? Die Arbeit natürlich.“

„Oh, echt? Ich hab voll kein Zeitgefühl. Ich bin ja schließlich eher wie du da. Und da ich immer früher mit den Kleinen trainiere und freitags eher schluss mache vergesse ich, dass du eigentlich zu früh bist.“

„Was?“

„Vergiss es. Was hast du bis eben schönes gemacht, auf der Arbeit?“

„Nicht viel. Gearbeitet.“

 

Ajay lacht sarkastisch auf. „Darauf wäre ich im Leben nicht gekommen. Und, wie weit bist du schon bei dem Album?“

„Wir haben gerade mit den ersten Blumen angefangen.“

„Ihr? Blumen?“

„Chayya und ich.“

„Ich hab Chayya schon wieder vergessen.“

„Nach 5 Jahren kannst du dir das immer noch nicht merken, dass ich mit Chayya zusammen arbeite.“

„Nein, sie ist eine Frau. Aber das erklärt die Blumen.“

„Die Blumen sind daher, weil unser Klient eine Sängerin ist. Und kein Sänger. Du Hornochse.“

 

„Ich was?“

„Ja, ja, du hast schon ganz recht gehört.“

„Hornochse? Kannst du dir nichts besseres einfallen lassen?“

„Was denn? Das ist das Beste, was mir gerade einfiel.“

„Ach, Lusche.“

„Boah. Lackaffe.“

„Möchtegern Zicke.“

„Bitte was?“ Samir schaut Ajay etwas verwirrt an. Was hat er da gerade gesagt? Das passt ja mal gar nicht. Und warum soll er auf einmal eine Möchtegern Zicke sein?

 

Ajay lacht allerdings vergnügt. „Du hast sie nicht mehr alle.“, will Samir nun klar stellen. „Aber du oder wie?“

„Aber na sicher.“

„Dann erkläre mir warum ich sie nicht alle hab, aber du.“

„Weil du Chayya immer wieder vergisst.“

„Warum auch nicht? Sie ist ein Mädchen. Und ich dachte sie wäre so eine kleine Affäre von dir. Aber nein...“

„Genau, nein, sie ist meine Kollegin.“

„Und deine beste Freundin.“

 

„Und daran ist jetzt was falsch?“

„Einfach alles. Wirklich alles.“

„Und warum?“

„Weil du ein Mann bist und sie eine Frau.“

„Darauf wäre ich nun nicht gekommen. Und weiter?“

„Das wird nicht gut enden.“

„Warum? Wir sind die besten Freunde.“

„Aber versteh doch du bist ein Mann...“

„Und sie eine Frau. Ich weiß, ich weiß. Aber sag was du sagen willst. Ich versteh von deinem Gefassel nur Bahnhof.“

 

„Leute, lasst uns anfangen. Erstmal ein paar Runden ums Feld. Na, los. Schaut mich nicht so bekloppt an. Los, los.“, fordert ihr Kapitän. Die beiden beenden ihr Gespräch, ohne es wirklich für beendet zu erklären. Das liegt eigentlich nicht in Samirs Gewohnheit. Aber Ajay läuft einfach voraus und fordert ihn quasi zu einem kleinen Match auf. Die zwei rennen nun um die Wette. In der Samir dennoch gewinnt. Obwohl er einen Fehlstart hatte, aber Ajay war eher aus der Puste, da er zu schnell war. „Ajay, seit wann rennen wir uns beim Aufwärmen die Seele aus dem Leib?“, will der Kapitän wissen. „Tut mir leid.“

„So, Leute. Wir haben nächste Woche ein großes Spiel. Was heißt wir müssen uns anstrengen. Wir wollen da doch als Sieger hervorgehen.“ Jeder gibt sein Bestes. Aber jeder weiß: Das ist nur ein Spiel. Klar ist Gewinnen toll. Aber Gewinnen ist nicht alles.

 

***

 

Während dieser Zeit hat sich Chayya auf den Weg in das Cafè gemacht, dass sie täglich besucht. Dieses betreten sucht sie sich einen Platz. Direkt am Fenster. Chayya lächelt. Kaum sitzt sie, wird sie auch schon begrüßt. „Hallo, Chayya. Dein Kaffee und dein Essen kommt gleich.“

„Vielen dank, Geeta.“

„Nichts zu danken, das ist mein Job.“ Chayya lehnt sich zurück und sieht hinauf gen Himmel. Der Himmel strahlt blau und klar zu ihr hinunter. Die Sonne scheint, es ist heiß. Wie ungewöhnlich für Indien. Kleiner Scherz. Chayya versinkt in ihren Gedanken. 6 Jahre sind schon vergangen. 6 ganze Jahre. Und kein Tag vergeht an dem sie nicht an ihre Eltern denkt. Sie nicht vermisst.

 

„Chayya?“

„Mhh?“, dreht sich diese zur Stimme. Geeta steht neben ihr, am Tisch, und stellt Teller, Tasse und Glas vor Chayya ab. „Alles okay? Deine Sachen sind fertig.“

„Klar ist alles okay. Danke.“

„Lass es dir schmecken. Ich setzt mich gleich etwas zu dir, okay? Muss nur noch gerade den Tisch da hinten bedienen.“ Und schon verschwindet sie, nachdem sie ein zustimmendes Nicken von Chayya erhalten hat. Chayya allerdings macht sich jetzt ans Essen. So langsam bekommt sie auch richtig Hunger. Und Essen über ihre eben geführten Gedanken tut sogar ganz gut. Das Glas ist mit Wasser gefüllt. Das ist besser als der Kaffee beim warmen Essen. Findet sie jedenfalls.

 

Nach zehn Minuten setzt sich Geeta ihr gegenüber. Sie lässt Chayya allerdings erst in Ruhe zu Ende essen. Chayya braucht aber auch nicht mehr lange, sodass sie nach wenigen Minuten die Gabel zur Seite legt und dann von ihrem Wasser trinkt. „Was gibt es denn Geeta?“

„Eigentlich nichts. Wollte nur hören, wie es geht, was du so machst...“

„Wirklich?“

„Ja, wirklich.“

„Also mir geht es sehr gut, danke. Was ich mache? Mhhh, gute Frage. Nicht sehr viel, das was ich sonst auch immer mache.“

„Also viel zu viel.“

 

Geeta lacht auf, verstummt aber sehr schnell. Ohne, dass Chayya irgendetwas macht. „Und bei dir?“

„Ich arbeite auch sehr viel.“

„Warum?“

„Ach, weil es hier toll ist, weil ich echt gern hier arbeite.“

„Entweder gibt dein Chef dir Überstunden, ohne dass du sie willst. Aber wir würden hier von Kabir reden und Kabir ist alles andere als ein strenger Chef. Er ist der coolste, witzigste und sympathischste Chef den ich je kennen gelernt hab. Oder aber Gomal macht wieder Stress. Und wenn wir jetzt abwägen müssten.... dann wüsste ich die Antwort. Also: Was hat er dieses Mal gemacht?“

„Nichts.“

 

„Nach nichts hört es sich aber nicht an.“ Geeta dreht sich von Chayya weg. „Ich glaub ich...“

„Bleibst sitzen und erzählst. Du willst es erzählen, sonst hättest du dich nicht zu mir setzen wollen.“

„Chayya, Gomal ist nicht so wie du denkst.“

„Wie ist er denn dann? Er schlägt dich, sodass du mit blauen und grünen Flecken ankommst. Du hattest letztes Mal ein Pfeilchen. Niemand glaubt, dass du dich bei der Hausarbeit gestoßen hast.“

„Die meisten solcher Flecke ziehe ich mir bei der Hausarbeit zu. Das ist nicht nur bei mir so. Das machen viele Frauen. Das kann man sogar nach lesen. Die Schlimmsten Sachen und Unfälle passieren im Haushalt.“

„Aber nicht das was du hattest, das war nicht mehr schön.“

 

Ein Schweigen entsteht. Chayya weiß auch nicht, was sie machen soll. Gomal hat sie noch nie getroffen und die Dinge, die sie hier immer von Geeta und auch ihrem Chef hört sind ihr nicht geheuer. Und aus den Gründen will sie ihn auch gar nicht kennen lernen. Sie will ihn sich nicht mal vorstellen. Er muss ein grausiger Mensch sein. Ein niederträchtiger, widerlicher, unangenehmer Schnösel sein. Was Geeta an ihm fand, oder findet kann sie sich nicht erklären. „Ich frag mich immer wieder warum du ihn geheiratet hast.“

„Das willst du nicht wissen.“

„Nein, eigentlich hast du recht. Ich glaub das will ich nicht, wenn du schon so anfängst. Das scheint alles nicht ganz mein Gebiet zu sein. Aber du liebst ihn doch, oder?“

 

Geeta sieht Chayya lange an. Und diese wartet immer noch auf Antwort. „Irgendwo tief im Herzen, weißt ich, da steckt noch die alte Liebe. Die alte Liebe die ich für Gomal empfand. Oder gar noch empfinde, weil ich weiß, dass sie noch da ist. Aber es ist alles so kompliziert, weißt du. Du kennst nicht alles von ihm. Nichtmal ich wusste das vorher. Ich hätte mich sonst garantiert nicht verliebt, Chayya. Garantiert nicht. Es hat sich so vieles verändert. Gomal hat sich verändert. Es ändert sich jeden Tag etwas. Zwischen uns zwei. Aber es ist doch immer so. Jeder ändert sich. Jeder Tag ist ein anderer. Jeder Mensch ist ein anderer. Es gibt böse Menschen und es gibt gute Menschen. So ist das im Leben.“ Chayya sieht Geeta aufmerksam an. Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Geeta ist völlig komisch. Sie versucht sich, glaubt sie, gerade aus irgendwas heraus zu reden. Oder ihren Mann zu verteidigen.

 

Ihn zu verteidigen, dass er seine Frau schlägt. Die Frau die er eigentlich lieben und verehren sollte. Warum tut er das nicht? Oder warum nicht mehr? Er scheint es ja wohl getan zu haben, wenn man Geetas Worten Glauben schenken kann. Und das tut Chayya. Geeta lügt nicht, Geeta weiß einfach wie das Leben tickt. Geeta ist nicht ohne. Geeta ist einfach... ja, Geeta eben. Sie ist da genau wie ihre jüngere Schwester. Sehr temperamentvoll. Sehr gern auf 180. Sie sagt gerne ihre Meinung. Aber das heißt nicht, dass sie mit ihrem Mann einen Griff daneben gelangt hat. Doch Chayya weiß jetzt erst mal nicht was sie sagen soll. Sie sucht nach richtigen Worten, aber findet sie nicht. Daher schweigen sich die zwei auch an. Eine ganze, ganze Weile. Geeta wendet den Blick, vom Tisch, zur Seite. Hinaus, aus dem Fenster. Eine Träne sucht sich den Weg aus ihrem Auge.

 

„Geeta, ich wollte nicht...“

„Nicht schlimm. Du hast nichts getan. Ich bin selber Schuld. Sieh mich doch an.“

„Warum? Was soll ich da sehen? Ich sehe eine junge Frau, die verliebt war, es wahrscheinlich noch ist und einfach an dieser Liebe fest hält.“

„Das siehst du? Dann siehst du aber eigenartige Dinge.“

„Nein. Ich sehe nur wie es ist. Ich glaube, wenn du dir auf deine vielen Fragen Antworten gibst, dann siehst du welchen Weg du gehen sollst und welcher der richtige ist.“

„Ich sehe ihn nicht, Chayya. Ich sehe ihn einfach nicht.“ Nun sieht Geeta wieder zurück zu Chayya. Ihr direkt ins Gesicht. Nun sind beide Augen mit Tränen gefüllt.

 

„Hey, hey, Süße. Weine nicht.“

„Das ist das Wetter.“ Sie wischt sich die Tränen unter den Augen fort und sieht dann zu Chayya hoch. Dann muss sie aber lachen, denn Chayya sieht sie wissend an. „Tut mir leid, sollte ein Scherz werden.“

„Dir ist noch zu Scherzen zu Mute? Das ist doch was positives. Oder?“

„Ich weiß nicht.“

„Also ich denk schon. Also, lass den Kopf nicht hängen. Und vor allem lass deine Tränen da wo sie sind. Bewahre sie dir lieber für Dinge die Wichtiger sind.“

„Und die wären? Ich hab doch nur noch Gomal.“

„Das ist doch gar nicht wahr. Was ist mit deiner Schwester!?“

 

„Was soll mit der sein? Die wohnt nicht hier. Und sie gibt mir die Schuld am Unfall unserer Eltern.“

„Sie war einfach nur traurig und geschockt.“

„Sie ist voll ausgerastet. Ich hab sie gefahren. Der Lastwagen ist direkt in uns rein gefahren. Auf der Seite, an der meine Eltern saßen. Beide sofort tot. Und ich hab es überlebt? Warum?“

„Weil du etwas besonderes bist.“

„Ach quatsch. Und jetzt das mit Gomal. Ich glaub ich bin eher bestraft, als dass ich vom Tot davon kommen sollte. Das sehe ich als kein Glück an. Der Laster hätte auf meiner Seite kommen sollen und meine Eltern verschonen sollen, und mich anstelle dieser nehmen sollen. Ich hab nie Glück im Leben, nie, Chayya. Ich bin vom Pech verfolgt. Kein Wunder, dass meine kleine Schwester mich hasst.“

 

„Sie hasst dich nicht.“

„Doch. Sonst würde sie sich sicher melden.“

„Vielleicht hofft sie, dass du dich meldest.“

„Nein, bestimmt nicht.“

„Ach Geeta, wir sind doch hier nicht auf das Thema gekommen, dass du gleich denkst die Welt ist schlecht und schlecht zu dir.“ Chayya hat Geetas Hand ergriffen und sieht sie nun etwas besorgt an. Sie ist noch so jung, warum zerbricht sie sich über so viele Dinge den Kopf? Geeta schaut zu Chayya und versucht sich ein Lächeln auf zu zwängen. Nach einigen Minuten des Schweigens sieht Chayya auf ihre Uhr. „Oh, ich sollte los.“ Geeta muss schmunzeln. „Tut mir leid, dass ich dich abgehalten hab dich mit deinem Freund zu treffen.“, lacht sie dann. „Meinem besten Freund.“

„Was auch immer...“

 

***

 

Samirs Training ist unterdessen beendet. „Was hast du heute noch vor?“, will Ajay wissen, als die zwei in die Umkleidekabine treten. „Ich treff mich noch mit Chayya. Warum?“

„Oh. Wie jeden Abend. Ich dachte du hättest einmal Chayya-frei und könntest mit mir etwas machen.“

„Ich könnte Chayya eher fragen, ob du mit könntest. Ich lasse die Treffen ungern sausen. Ich finde es immer noch ganz toll, mit ihr rum zu sitzen, zu reden...“

„Über Mädchenkram. Ich versteh schon. Besser ist wir treffen uns nicht. Sondern spielen nur schön weiter Fußball zusammen. Wen magst du eigentlich aus unserem Team am ehesten?“

„Hä? Was redest du da? Chayya hasst es über Mädchenkram zu reden. Und willst du nun hinaus, dass ich Schwul sei oder was?“

 

„Ach, quatsch. Wo denkst du hin. Ich muss los, wir sehen uns. Ich hab ja somit einen Freundin freien Tag.“

„Schön hier geblieben, du Schwule-hasser.“

„Ich hasse Schwule nicht. Ich finde das völlig okay, du kannst dazu stehen. Jetzt ergibt das alles auch Sinn, dass du mit Chayya arbeitest, dich mit ihr triffst. Ihr redet also Pausenlos nur über Jungs. Wie ist das so? Das hab ich noch nie gemacht.“

„Ich auch nicht. Wir haben hin und wieder schon mal über Jungen geredet, aber auch nur über Kerle die im Club waren und Chayya entweder gefielen oder es nicht taten. Wir haben immer sehr viel zu lachen, du solltest echt mal mit.“

„Ja, mal schauen.“

 

„Du denkst echt Chayya sei eine Hexe, oder?“

„Wie kommst du darauf?“

„Weil du sie vergisst und weil... Ja, du echt freakig bist, was das angeht. Darf ich mich nicht auch mit Frauen gut verstehen? Oder bist du gar Schwul?“

„Jetzt übertreibe mal nicht. Nein, ich vergess das einfach. Frauen sind für mich tolle Lebewesen. Aber was du da mit Chayya machst.“

„Wovon redest du? Von unserer Freundschaft?“

„Ja, genau euer Freundschaftskiste da.“

 

„Bitte was?“ Samir schaut Ajay etwas perplex an. „Du hörst schon richtig.“

„Nein, irgendwie glaub ich nicht.“

„Ist doch auch egal. Ich muss los. Dann treff ich mich halt mit einem Kumpel und wir machen die Stadt unsicher. Oder so...“

„Wie immer also.“

„Mhh. Joar, kommt hin. Wird schon schief gehen.“

„Wie immer also.“, lacht Samir nun wiederholend. „Jop. Aber keine Sorge Papa, ich pass auf.“

„Ajay?“

„Ja?“

 

„Hat dir schon jemand gesagt, dass du sie nicht mehr alle hast?“

„Jap. Haben wir uns nicht auch erst vorhin darüber unterhalten?“

„Egal. Ich muss jetzt los. Mich fertig machen.“

„Für das Schwulentreff.“

„Ajay, das ist diskriminierend.“

„Was auch immer.“

„Du bist ein Arsch.“

„Ich lieb dich auch, Schwachmart.“

„Lusche.“

 

Samir und Ajay verabschieden sich häufig so. Bis zu immer. Damit sind deren Gespräche beendet. Mit diesen Beleidigungen haben sie sich vertragen, sehen über ihr eben geführtes Gespräch hinweg und konzentrieren sich auf ihre verdrehte Freundschaft. Denn das haben die zwei. Es ist keine richtige Freundschaft. Viel mehr eine sehr, sehr gute Bekanntschaft. Aber dennoch. Die zwei sind so verrückt, auch vor allem was ihre Gespräche angeht, dass sie sich entweder echt mögen müssen oder aber sie hassen sich aufs Tiefste und tun nur so. Hier ist definitiv das erste der Fall. Samir und Ajay lieben es einfach sich etwas zu provozieren.

Nun allerdings, was ja viel wichtiger ist, ist Samir auf dem Weg nach Hause um da erst mal etwas zu Essen - sonst kommt er ja um vor Hunger - und dann sich fertig zu machen. Denn bald ist es wieder Zeit um im Club zu sein.

 

***

 

Chayya macht sich auf den Weg nach Hause. Das Gespräch von eben, mit Geeta, hängt ihr doch noch etwas in den Knochen. Sie kommt nicht von den Gedanken ab. Irgendwie tut Geeta ihr unmenschlich leid. Aber irgendwie findet sie, dass Geeta nicht nur auf ihrer schlechten Laune und ihrem schlechten Dasein herum reiten sollte. Sondern ihr Leben selber in die Hand nehmen sollte und etwas machen sollte. Vielleicht weg von Gomal. Aber wer weiß, ob es das nicht schlimmer macht. Wie schon bekannt kennt Chayya Gomal nicht und weiß nicht wie er tickt. Aber wenn sie selber so jemanden kennen gelernt hätte, dann hätte sie dafür gesorgt, dass sein Leben zur Hölle wird, dass es ihm schlecht gehen wird. Gott sei Dank ist sie ihm nicht begegnet, oder so jemanden wie ihm. Denn sie kann sich schon vorstellen, dass es gar nicht so einfach ist, von seiner geglaubten Liebe fortzugehen.

 

Über ihren Gedanken hinweg kommt Chayya bei ihr in der Wohnung an. Sie öffnet die Tür und legt ihre Tasche zur Seite, die braucht sie nun nicht mehr. Die Tasche nimmt sie jeden Tag mit zur Arbeit. Aber braucht sie nicht. Da sind auch gar nicht viele Sachen drin, nur Dinge die halt wichtig für eine Frau sind. Wohnungsschlüssel, Geld, Ausweis. Und was alles dazu gehört. Die Tasche, wie gesagt, zur Seite gelegt macht sie sich auf ins Bad. Sie muss sich schließlich fertig machen um sich mit Samir zu treffen. Dieser kommt zwar immer zu spät, aber das heißt ja nicht, dass sie dennoch vor ihm da sein kann. Sie muss gar vor ihm da sein. Einfach nur, um ihn zu ärgern. Dennoch weiß sie ganz genau, wenn sie nach Hause kommt, dass sie es ohne Probleme schafft, eh er überhaupt bei sich zu Hause ist, im Club zu sein um auf ihn zu warten und sich schon etwas zu bestellen.

 

Nach gut geschätzten 25 Minuten ist sie fertig. Und sie hat noch über eine Stunde Zeit um dennoch überpünktlich da zu sein. Dennoch macht sie sich so langsam auf den Weg. Ihre Tasche wird wieder mit genommen und dann geht sie in einem ruhigen, langsamen Schritttempo los. Um zum Club zu kommen. Und genau eine Stunde vor ihrer bekannten Ankommenszeit, ist sie angekommen. Sie lässt sich an der Theke nieder und wartet, darauf das ein Kellner vorbei kommt und zu ihr sagt „Wie gewohnt?“ sie nicken kann und dann wartet, bis das Getränk nach 5 Minuten vor ihr steht. Sie nippt dann immer daran und heute denkt sie zurück an das Gespräch mit Geeta. Zu Hause hat sie gar nicht mehr daran gedacht. Da war sie vertieft im fertig werden. Nun kommt Geeta wieder in ihren Gedanken hoch. Sie hofft, dass Samir bald kommt, sie mag heute nicht mehr an Geetas Probleme denken.

 

***

 

Zu dieser Zeit kommt Samir gerade vom Training nach Hause. Er geht erst mal in die Küche. „Du hast sicher Hunger. Setz dich.“

„Ich muss noch duschen Mutter, ich kann jetzt nichts essen. Chayya wartet.“

„Chayya hier, Chayya da. Du setzt dich jetzt und isst erst mal. Vorher lass ich dich gar nichts machen.“ Damit hat seine Mutter ein Machtwort gesprochen. Aber Gott sei Dank wissen wir, dass Samir seine Mutter nur veräppeln will, er hat schließlich mächtigen Hunger. Ohne Essen würde er abends nie aus dem Haus gehen. Er setzt sich somit gehorsam an den Tisch und lässt sich von seiner Mutter etwas von ihrem warmen, indischem Essen auffüllen. „Mhhh, das ist mal wieder köstlich.“

„Tja, so ist das. Ich bin halt eine gute Köchin.“

 

„Gib nicht immer so an, Mutter.“

„Ah. Das tue ich nicht, wenn du jeden Tag sagst, dass es gut ist. Was kann ich dafür?“

„Nichts. Gut, dann werde ich das demnächst nicht sagen.“

„Doch, sag es nur. Das nächste Mal geb ich halt nicht so an.“

„Was hast du den ganzen Tag eigentlich gemacht?“ Samir sieht von seinem Teller neugierig hoch zu seiner Mutter. „Gekocht.“

„Den ganzen Tag?“

„Ja, das Essen braucht seine Zeit.“

„Über 6 Stunden?“

 

Seine Mutter sieht ihn nun etwas verwirrt an. „Worauf willst du hinaus?“

„Darauf, dass du nie aus dem Haus gehst.“

„Brauch ich nicht.“

„Hast recht, ich glaub du brachst etwas anderes dringender.“ Seine Mutter mustert ihn skeptisch. „Und was?“ Nun schmunzelt Samir. „Einen Freund.“, lacht er dann auf. Seine Mutter kann darüber nicht lachen. „Du bist ein Blödmann.“

„Ich weiß, und dennoch liebst du mich.“

„Leider.“ Das eben geführte Gespräch legt sich sehr schnell wieder, da Samir seine Mutter gerne etwas neckt. Und das weiß diese auch. Samir beendet sein Essen um sich dann fertig zu machen.

 

Fünf Minuten eh sich die zwei eigentlich treffen betritt auch Samir endlich in den Club. Er steuert direkt auf die Theke zu. Er sieht Chayya und sitzt kurz darauf auch schon neben ihr. „Da bist du ja endlich.“, sieht Chayya ihn etwas vorwurfsvoll an. „Was denn? Ich bin pünktlich. Keine Ahnung, warum du immer überpünktlich sein musst.“

„Es gehört sich einfach.“

„Daher bin ich ja nun schon hier.“

„Fünf Minuten vor unserer vereinbarten Zeit.“

„Ja.“

„Du bist echt doof.“

 

Samir nimmt sein Getränk entgegen, das so eben bei ihm abgestellt wurde. „Danke fürs Bestellen.“, wendet er sich an Chayya zurück. „Nichts zu danken. Was machst du eigentlich immer noch so lange, dass du so spät bist?“

„Essen und duschen?“

„Das tue ich auch.“

„Ich hab noch Training dazwischen. Und da komm ich immer unterschiedlich raus. Außerdem unterhält sich Ajay dann immer noch mit mir.“

„Und worüber redet ihr, dass das immer sooo lange dauert?“

„Über alles. Die Arbeit, dich...“

 

Nun schaut Chayya ihn etwas verwirrt an. „Über mich?“

„Ja.“ Samir nimmt einen Schluck seines Getränkes, sieht dann wieder zu Chayya. Was ist jetzt daran so schlimm, dass er und Ajay sich über sie unterhalten? „Warum über mich? Du redest mit mir nie über Ajay.“

„Weil du weißt woher ich ihn kenne und, dass ich ihn ebenfalls täglich sehe. Oder fast täglich.“

„Vergisst er mich etwa?“

„Ja, obwohl er immer wissen will, was ich so auf der Arbeit mache. Und ich dann auch von 'uns' rede. Aber er scheint es einfach nicht checken zu wollen.“

„Verrückt.“

 

Samir nickt zustimmend. „Wem sagst du das!“

„Ist ja wirklich komisch.“

„Finde ich auch. Hab mir auch schon überlegt, ob er mich gar immer verarschen will. Dass er sich schon an dich erinnert, nur einfach immer wieder auf unsere Freundschaft herum reiten will.“

„Hat er etwa was gegen unsere Freundschaft?“

„Ich glaube nicht. Er fragt sich nur ob ich Schwul bin.“

„Bist du Schwul?“

„Ähm, nein!?“ Nun lacht Chayya. Samirs Gesicht gerade zu sehen war echt herrlich. Als ob er nun befürchtet, dass sie das echt denkt.

 

„Das war doch nur ein Scherz.“

„Du bist nicht besser als Ajay.“

„Kann sein.“

„Ihr würdet gut zusammen passen.“

„Findest du?“

„Ja. Er ist voll der liebe, eigentlich. Und schon ziemlich durchgeknallt, so wie du.“

„Danke. Legst ja richtigen Wert auf mich.“

„Auf jeden Fall. Soll ich euch verkuppeln?“

„Nein, nein. Nicht nötig.“ Chayya lacht amüsiert. Samir und seine Witze.

 

„Was hast du bis eben gemacht?“ Nun sieht Samir fragend zu Chayya. Er fragt das zwar täglich. Aber es kann sich schließlich immer was ändern. „Och. Ich war im Café, hab erst mal was gegessen, mich etwas mit Geeta unterhalten.“

„Die Kellnerin, stimmts?“

„Stimmt. Sie ist ziemlich fertig. Aber das ist eine andere Geschichte. Und gehört auch nicht hier hin. Warum fragst du?“

„Reine Neugierde, kennst mich doch.“

„Ich kenne dich zu gut.“

„Ich weiß, ich glaub, das ist das Schlimmste an unserer Freundschaft. Wir kennen uns zu gut.“

 

Samir belässt es bei der Aussage. Chayya würde eh nicht weiter darauf reagieren. Sie würde es höchstens verfluchen, oder aber ihm zustimmen. Also dreht er sich auf seinem Hocker um, natürlich mit dem Getränk in der Hand, und schaut sich im Club um. Seine Augen beugen alles, was ihn interessieren könnte. Was das ist? Natürlich die Frauen. Was für eine Frage. Er ist auch nur ein Mann. Ein sehr verrückter, wenn es nach Chayya geht. Diese sieht allerdings zur Seite. Sodass sie gar nicht sieht, dass sich Samir zum Inneren des gefüllten Clubs gedreht hat. Er schlürft an seinem Getränk, der einen Strohhalm besitzt. Er weiß nicht warum, aber das haben die meisten Getränke hier. Er beißt etwas abwesend auf dem Strohhalm herum. Sieht jede Frau die in diesem Club ist an. Aufs genauste. Er versucht sie gar zu analysieren. Das funktioniert nicht. Dafür braucht er schon Chayyas Hilfe.

 

„Und hast du schon eine gefunden?“, fragt er auf einmal. Chayya sieht zu ihm. Erkennt erst jetzt, dass er seine gewohnte Pose eingenommen hat. Dass er sich von der Theke weg gedreht hat und nun die Frauen begutachtet. „Nein.“

„Du strengst dich einfach nicht genug an.“

„Es ist einfach bis her keine Gute vorbei gekommen.“

„Ich brauch eine Freundin, Chayya. Dringend.“

„Hab dich nicht so. Meinst du, im Club findest du die Richtige? Mit der du dein Leben teilen willst? Mit der du alt werden willst und Kinder kriegen willst?“

„Es heißt doch so schön, dass man die besten Beziehung hier findet.“

 

„Wer sagt das?“

„Jeder!“

„Wer ist jeder?“

„Ajay.“ Nun lacht Chayya auf. „Ajay hat keine Ahnung.“

„Was soll das denn heißen? Der hat mehr Ahnung, als wir zwei zusammen.“

„Denkst auch nur du.“

„Nein, das sagt er.“

„Dann denkt er das nur.“

„Er kennt sich in so etwas aus.“

 

„Hat er nicht eine Freundin?“

„Keine Ahnung. Ich denke nein.“

„Das sagt doch alles. Und was hast du da eigentlich für einen Freund, der dir nicht mal sagt ob er eine Freundin hat oder nicht?“

„Ajay ist voll okay, ja. Du müsstest ihn nur mal kennen lernen.“

„Ja, ja. Das sagtest du schon.“

„Lass uns zum eigentlichem Thema zurück kommen...“, will Samir das Thema nun wieder auf etwas viel wichtigeres lenken. „...Zu den Frauen.“

„Es ist keine dabei, bis her, sagte ich doch schon.“

 

„Dann hast du nicht genau hingeschaut. Was ist denn mit der Blondine da hinten, die da in der Lounge ganz alleine sitzt?“

„Mit ihrem Freund hier.“

„Ich sehe den nicht. Wo ist dieser Freund? Ich geh da jetzt hin.“, meint er und springt vom Hocker. Auf dem Weg zur schönen Blondine. Doch nicht mal fünf Schritte getan, bleibt er stehen. Und muss zu sehen, wie ein großer, gut gebauter Mann ankommt, sich neben sie setzt, den Arm und sie legt und sie zu sich zieht. Sie schaut zu ihm und die zwei küssen sich. Samir dreht sich um. „Was hab ich gesagt?“

„Schon gut. Ab zur Nächsten.“

„Du bist zum Verzweifeln.“

 

„Danke... Wie wäre es mit dieser Schönheit?“ Chayya sieht sich suchend um. „Welche?“

„Na, die ein paar Meter von uns entfernt, an dem Tisch, mit ihren zwei Freundinnen. Braune Haare, lange dünne Beine, kurzer Rock, schönes Lächeln.“

„Samir, ich bitte dich. Die springt hier bereits dem dritten an den Hals.“

„Musst du gleich alle schlecht reden? Ich versuch mal mein Glück.“ Samir springt erneut auf. „Soll ich?“, will er aufmunternde Worte. „Nein.“

„Okay...“, macht er dann und geht los, ohne überhaupt zu Chayya gesehen zu haben. Doch erneut bleibt er, dieses Mal nach wenigen Schritten, stehen. Ein Kerl kommt auf die Frau zu. Und sie schmeißt sich ihm gefügig an den Hals, um ihn zur Tanzfläche zu begleiten. Erneut dreht sich Samir zu Chayya.

 

Chayya beginnt zu schmunzeln. Krampfhaft muss sie versuchen sich das Lachen zu verkneifen. „Du sollst nicht lachen... Lachst du etwa?“ Chayya schüttelt mit dem Kopf. Prustet aber vor sich hin. Es kommt kein Lachen heraus, sie atmet nur lachend. „Du lachst.“

„Tut mir leid, Samir. Echt, tut mir wirklich leid.“ Nun wird sie wieder ernster, nachdem sie ihm mit einem Schmunzeln um Verzeihung bittet. „Aber ich hab dir gesagt, dass bis her noch keine tolle Frau dabei ist. Die kommen hier alle mit Partner hin oder, weil sie Sex haben wollen.“

„Und was mach ich nun?“

„Warum kannst du nicht warten? Eine Frau kommt nicht per Knopfdruck. Sie kommt auch nicht gezwungener Maßen. Sie kommt einfach.“

 

„Ich kann nicht mehr warten. Ich bin 28. Hörst du, 28. Ich wollte nicht ohne Frau sterben.“

„Musst du doch gar nicht. Aber diese Frauen hier hast du einfach nicht verdient. Du brauchst etwas besseres. Keine billige Blondine. Keine Brünette, mit kurzem Rock. Du bist fleischechter Inder. Du verdienst eine Inderin. Eine süße, nette Inderin. Sie muss so sein wie du. Oder wenigstens deine Macken verstehen und akzeptieren.“

„Und wo finde ich diese, unmöglich hier lebende, Inderin?“

„Sie wird schon in dein Leben treten, Samir. Du wirst es früher oder später merken. Und wer weiß, vielleicht ist sie ja schon da.“

„Hä?“

 

Samir dreht sich endlich wieder zur Theke. Chayyas Worte verwirren ihn. Machen ihn aber auf die selbe Weise wahnsinnig neugierig. Sie ist eine Frau. Sie hat in solchen Dingen sicher mehr Ahnung als er. Und er ist wirklich verzweifelt. Das merkt auch Chayya, die ihn bemitleidend anschaut. „Weißt du, ich bin einfach...“

„Komisch?“

„Ja, das auch. Aber ich meine eher, dass ich nie wirklich Zeit für so etwas hatte. Mein Vater starb sehr früh und ich musste mich irgendwie immer um meine Mutter kümmern. Dann das Studium.“

„Du musst dich für nichts entschuldigen. Ich verstehe dich, Samir. Ich bin deine beste Freundin, wenn nicht ich dich verstehe wer dann!?“

 

Nun schweigen die zwei. Jedenfalls fürs erste. Was soll Samir nur tun? Er hat keine Ahnung, wie so etwas geht. Es ist einfach in seinem Leben nichts dafür frei gewesen. Nie Platz gewesen. Für eine Frau. Für ein paar schöne Romanzen. Für nichts dieser Art. Daher scheint er jetzt auch so verzweifelt. „Hey, lass den Kopf nicht hängen.“, versucht Chayya ihn nun aufzumuntern. Sie kann ihren Freund nicht so trübsalblasend neben sich sehen. „Ach, Chayya.“

„Nichts, ach Chayya. Das will ich nicht hören. Lache und denke nicht an so etwas. Das tut doch nicht gut.“

„Gerade schon.“

„Samir, bitte...“

 

„Aber was soll ich nur machen?“

„In Sachen Frauen?“

„Ja. Ich hab doch keine Ahnung. Gehe ich zu einer Frau hin, die ich toll finde? Lass ich mir mehr Zeit? Sage ich gar nichts? Warte ich, bis sie ankommt?“

„Da kannst du ja lange warten.“

„Ganz genau.“

„Also machst du...“

„...Gar nichts, ich wusste es.“, unterbricht er seine Freundin verzweifelt. „Ach, quatsch.“ Er schaut nun zu ihr. „Was dann? Sag, was schließt du aus meiner Verzweiflung, Chayya?“

 

„Dass du einfach nur keine Ahnung von dem allem hast.“

„Dann solltest du mich aufklären, oder?“ Chayya sieht ihn an. Legt den Kopf schief und beginnt dann zu nicken. „Weißt du, Samir. Liebe. Liebe ist nichts, was man bestellen kann. Oder einfach so anlocken kann. Liebe ist etwas ganz anderes. Man kann sie weder sehen, noch hören. Liebe fühlt man nur. Viele reden von Liebe auf den ersten Blick. Aber sind wir doch mal ehrlich, so etwas braucht Zeit. Braucht viele gesprochene Wörter, braucht viele gemeinsam verbrachte Stunden. Liebe ist einfach nur Liebe. Liebe kann zwischen Menschen verschiedener Kulturen, Religionen oder Hautfarbe entsteht. Sogar zwischen Menschen die sich ewig kannten, oder gar zwischen den besten Freunden...“ Samir sieht Chayya nun lange an - was Chayya nicht merkt, für Samir hat es plötzlich Klick gemacht.