Kapitel 2

Briefchen schreiben

Nach beenden faltet sie ihn kurz und geschickt zusammen und lässt ihn dann, so unauffällig wie nur möglich, nach hinten auf Vijays Platz vor ihm nieder. Dieser sieht überrascht auf, sieht zu dem Zetteln, dann zur breit grinsenden Kiran und nimmt dann skeptisch den Zettel in beide Hände. Er faltet ihn wieder auf und beginnt zu lesen:

Warum sitzt du neben diesem Mauerblümchen? Warum sitzt du nie neben mir? Du musst nicht nett zu ihr sein, nur weil es kein anderer ist. Versteh doch, sie ist doch bei allen unbeliebt, dann brauchst du doch nicht so zu tun, als ob du sie magst. Ich weiß, dass du das nicht tust. Du brauchst nicht zu tun, als ob du aller Freund sein willst, nur weil du zum Schulsprecher gewählt wurdest!

Vijay sieht wieder auf, neben sich zu Nandini. Diese hat nur die ersten paar Sätze gelesen und hat dann wieder nach vorne gesehen, aber ihr war schon klar, was in etwa von Kiran kommt. Das ist ganz typisch für sie. Nandini ist klar, dass sie nicht beliebt ist, aber das wollte sie nie sein. Sie braucht auch keine Freunde. Das glaubt sie jedenfalls.

 

Vijay legt den Zettel auf seinen Platz und beginnt zu antworten.

Kiran, was du und andere von ihr halten kann mir doch egal sein. Ja, ich bin Schulsprecher, aber vergiss nicht, dass du Stellvertreterin bist. Ich finde dein Verhalten unter aller Sau. Und wie schon gesagt, ich kann mit jedem reden, mit dem ich reden will. Du hast mir nichts vorzuschreiben. Mach dir keine Sorgen, ich komme auch gut ohne deine Unterstützung zurecht. Was Nandini angeht, du musst sie nicht mögen, aber wehe du bist sauer, wenn sie dich auch nicht mag. Nicht jeder mag dich...

 

Vijay falten den Zettel wieder zusammen, was soll er noch großartig schreiben? Er hätte ja alles aufschreiben können, was ihm gerade durch den Kopf ging. Das und alles andere noch. Doch das hätte sie dann wieder nur falsch aufgefasst. Aber eigentlich konnte ihm das doch egal sein, sollte sie doch von ihm denken, was sie wollte. Er konnte sie noch nie besonders leiden, schon seit dem ersten Jahr auf dieser Schule seit dem sie mit ihm in die selbe Klasse gekommen ist. Nur schon ihr Auftreten war zu viel für ihn. Sie war so anders! So ganz anders als es jemals ein Mädchen in seinen Augen sein konnte. Und erst recht anders als Nandini. Seine Nandini!

 

Fast fünf Minuten versucht er, den Zettel wieder, ebenfalls unauffällig, zurück an Kiran zu geben, die ist aber wohl abgelenkt. Nandini geht er allerdings auf die Nerven, so rutscht sie in ihrem Stuhl etwas hinunter und stießt mit dem Fuß an Kirans Stuhllehne. Vijay sieht sie nun mit großen Augen an und auch Kiran dreht sich erschrocken herum. Sodass Kiran aber nicht auf Nandini kommen würde, lenkt er die Aufmerksamkeit auf sich, in dem er mit dem Zettel etwas herum wedelt. Mit einem Lächeln nimmt Kiran diesen an und dreht sich eifrig wieder herum. Jedoch kommt Kiran nicht mal dazu den ersten Satz seiner Antwort zu lesen, denn die Lehrerin kommt, sauer geworden, in die Reihe der drei und bleibt dann bei ihnen stehen. „Frau Mukherjee... Finden sie es angebracht in der Stunde Briefchen zu schreiben?“ Die Lehrerin, stemmt die Hände in die Hüften, sieht Kiran sauer an und schüttelt verzweifelt und enttäuscht mit dem Kopf. „Geben Sie mir auf der Stelle den Zettel!“ Kiran zögert etwas, reicht der Lehrerin dann den Zettel und sieht entschuldigend nach hinten, zu Vijay. Der jedoch sieht gar nicht auf, der tut so als habe er gar nichts damit zu tun.

 

Die Lehrerin liest sich in kurzer Zeit die Zeilen durch und sieht dann zu Kiran und in die zwei anderen Reihen. Einmal zu der Reihe vor Kiran und einmal zu der Reihe hinter ihr. Kirans Nachbar wird sicher nichts getan haben und auch Nandini nicht, deswegen bleibt der Blick auf Vijay haften. „Haben Sie den Zettel angenommen?“, fragt sie dann und sieht Vijay prüfend an. Vijay sieht überrascht auf. „Welchen Zettel, Frau Sharma?“ Sein Lächeln gleitet ihm unschuldig und nur für Sekunden über die Lippen, dass man ihm schon ganze Aufmerksamkeit schenken muss um es zu sehen. „Den hier!“, hält sie nun den auf gefalteten Zettel direkt vor Vijays Gesicht. Dieser liest nur die ersten Zeilen und dann sieht er wieder zur Lehrerin auf. Zustimmend beginnt er zu nicken.

 

Die Lehrerin dreht sich zu Kiran. „Mit Ihnen will ich nach der Stunde nochmal reden. So, und nun widmet euch dem Text in euren Büchern, dessen Seite ich an die Tafel aufgeschrieben hab. Ich dulde keine weiteren Unterbrechungen.“ Auf dem Weg zum Lehrerpult, knallt sie denn Zettel auf den Tisch und setzt sich dann ans Pult.

 

Nandini hat zu all dem nichts gesagt, hat immer wieder gesehen wie die Lehrerin zu ihr gesehen hat. Auch Vijay hat den Blick der Lehrerin nicht falsch verstanden, sie hat wohl schon gemerkt, wer welchen Text geschrieben hat. Was ja wohl gar nicht so schwer war. Der Zettel auf dem Pult lässt Nandini ab und an schon aufsehen, wenn sie es auch nicht will. Der Blick ihrer Lehrerin hat sie neugierig gemacht. Sie weiß ja genau, dass Kiran etwas über sie geschrieben hat und auch hätte sie die ersten Sätze nicht gelesen hätte sie es gewusst. Seit dem Kiran und sie in einer Klasse sind hat Kiran etwas gegen sie. Dabei weiß Nandini nicht mal was das denn wäre. Aber im Grunde ist es ihr auch egal. Immer wieder erwischt sie sich dabei, dass sie auf zum Zettel sieht. Etwas was sie nicht tun will, es aber dennoch macht.

 

Vijay jedoch bemerkt weder die Lehrerin, noch Nandini und auch nicht Kiran. Sein Blick ist wieder hinunter auf seinen Block gerichtet, auf die Linien und Kreise die er bis her zustande gebracht hat. Er selber findet seine Arbeit sehr gelungen. Auch wenn kein anderer etwas darauf entziffern könnte. Er hat auch kein Talent im Zeichen, hatte er noch nie. Er beschäftigt sich generell nicht mit seinen Talenten. Er weiß nicht mal, was er denn für eines hat oder ob er überhaupt eines hat. Die Lehrerin sieht ab und an auf, um zu sehen ob ihre Schüler auch arbeiten, Kiran hat das Buch vor sich geöffnet und tut so als ob sie lesen würde. Und auch Nandini hat sich nach einigen Minuten, wie sie der Zettel auf dem Lehrerpult nicht mehr abzulenken versuchte, zu ihrem Buch gegriffen und angefangen zu lesen.

 

Bis zur nächsten Pause ist es vollkommen leise, keiner der Schüler sagt ein Ton, eben weil jeder damit beschäftigt ist, dass zu tun, was an der Tafel steht. Bis auf eine Person, oder gar zwei. Kiran ist ja klar. Aber Vijay scheint die Aussage seiner Lehrerin gar nicht mitbekommen zu haben, als diese sie ausgesprochen hat und von seinem Sitzplatz nach vorne gegangen ist. Nandini jedoch wird das Gekritzel auf seinem Block, dass ja nicht gerade leise ist wenn man denn dann mal in Fahrt kommt, zu viel und aus dem Grund sieht sie ihn auch von der Seite her sauer an. Dann stießt sie ihn etwas unsanft den Ellenbogen an die Schulter, sodass er sich einmal schrecklich vermalt. „Was soll...“, beginnt er zwischen den Zähnen hervorzubringen, als er sich zu ihr dreht. Augenblicklich verstummt er. „Mach doch mal das, was die Lehrerin gesagt hat...“, entgegne Nandini nur knapp. Wie er die Stirn in Falten legt deutet sie auf die Tafel, sodass er ihrer Geste folgt und dann an die Tafel sieht. Er beginnt mit dem Kopf zu nicken und dann setzt er sich auf, um wirklich das zu machen, worum ihn nun auch Nandini bittet.

 

Die Stunde endet jedoch schneller als manchen lieb ist. Zu mindestens Nandini und Vijay.

Nandini war gerade bei der letzten Aufgabe zum Text und wie immer in ihren Höchstleistungen angekommen.

Vijay war gerade dabei den Text zu verstehen, nach dem dritten Mal lesen, da der Text ihm so konfus geschrieben ist, dass er nicht durchsteigt.

 

Kiran kommt jedoch nicht schneller aus der Klasse als eh und je. Andererseits weiß sie genau, dass sie noch im Klassenraum bleiben muss und das nervt sie. Was hat sie denn wieder gemacht? Sie war doch der Engel in Person.

Auch Vijay wird von der Lehrerin aufgehalten, der eigentlich hinter Nandini her wollte, mit ihr reden. „Herr Malhotra...“ Überrascht dreht er sich um.

„Den Zettel können Sie behalten, ich denke Sie wissen schon was sie mit ihm machen können...“ Die Lehrerin reicht ihm den Zettel, lächelt kaum merklich während Vijay nur vom Zettel hinauf zur Lehrerin sieht. In deren Augen versucht er zu lesen, was sie meint, als diese ihm mit einem Nicken eine Antwort gibt, nickt er nun selber zustimmend und verlässt dann endgültig den Klassenraum.

 

Die Lehrerin wendet sich dann an Kiran. Zuerst sieht sie das Mädchen ernst an, eh sie mit dem Kopf schüttelt und sich dann auf das Pult setzt. „Was soll ich nur mir Ihnen machen, Miss Mukherjee...“ Kiran zuckt nur mit den Schultern, immer wenn sie vor ihren Lehrern steht kommt ihr die Zeit so endlos lang vor. „...Sie hören im Unterricht nicht zu, ihre Noten sinken, ihre Aufmerksamkeit auch. Das Interesse war früher immer bei Ihnen zu sehen. Wo ist das heute hin?“ Erneutes Schulterzucken von Kiran, sie hat keine Ahnung ob sie früher anders war. Die Schule ist fast vorbei, nicht viel steht noch vor ihnen, sie sind schließlich in der Abschlussklasse. Und die will Kiran schnell hinter sich bringen. „Briefchen schreiben ist im Unterricht verboten, doch das wissen Sie sicher. Warum ziehen Sie Herr Malhotra mit in die Sache hinein? Wenigstens einer von Ihnen versucht ab und zu dem Unterricht zu folgen...“ Frau Sharma macht eine Pause, steht dann vom Pult auf und geht zu ihrer Tasche, um ihre Sachen hinein zu tun. „...Außerdem, zum Inhalt des Briefchens sage ich nichts. Sie wissen ganz genau, wie ich zu solchen Sachen stehe. Und nun können Sie Pause machen!“ Damit ist Kiran endlich entlassen, sodass sie sich umdreht und schleunigst den Raum verlässt.

 

Kiran kommt wie immer an den Spinds bei ihren Freundinnen an, in ihrer Klasse sind wenige ihrer Freundinnen, die befinden sich eher in der Parallelklasse. „Warum kommst du so spät, Süße?“, will eine ihrer Freundinnen dann wissen. „Ach, die Lehrerin wollte wieder was von mir!“, erwidert Kiran etwas gleichgültig. „Und was genau?“, will die nächste wissen. „Im Grunde geht es euch gar nichts an. Aber ihr wisst ja wie gut ich in der Schule bin, sie wollte mich loben. Was denn sonst!?“ Kiran geht voran, während eine ihrer Freundinnen, die mit ihr in die selbe Klasse geht, plötzlich die Augen verdreht. Sie weiß ganz genau, dass Kiran lügt und sie weiß einfach nicht, warum Kiran das immer wieder macht. Sie stört den Unterricht und sagt auch noch zu ihren anderen Freundinnen, dass sie gut sei. Was ist das für eine Freundin? Wieder an der Eingangstür, zum Schulhof, angekommen bleiben die Mädchen stehen und suchen nach Vijay. Den finden sie auch, nachdem sie etwas Abseits sehen und erkennen, dass er direkt auf Nandini zu geht, die wie immer auf einer Bank sitzt und ein Buch liest. „Was hat er denn nun schon wieder vor?“, will Kiran etwas sauer wissen.

 

***

 

Vijay bemerkt nicht, dass er beobachtet wird. Und wenn, dann würde es ihn nicht kümmern - wie es ihn nie kümmert. Er setzt sich direkt auf die Bank auf der auch Nandini sitzt, die versucht ihn zu ignorieren, wie sie es des öfteren versucht. Klar ist ihr die Nähe zu ihm nicht entgangen, denn schließlich steigt sein Duft direkt in ihre Nase. Er sitzt höchstens eine halbe Person von ihr entfernt. Warum zum Teufel nochmal tut er immer wieder auf nett?

 

Vijay betrachtet sie von der Seite her, lächelt dann verträumt - das allerdings bekommt sie nicht mit. „Nandini?“, beginnt er dann vorsichtig, aber dennoch in der Tonlage in der er sich mit jedem unterhält. Diese Tonlage ist nicht zu beschreiben, sie ist komisch. Irgendwie grob, aber dennoch einfach und normal, ab und an scheint es, als ob er sogar wirklich aufrichtig nett klingt. Nur kurz hebt sie den Kopf, dreht ihn zu ihm und sieht ihn dann an. „Was ist?“, erwidert sie, wie immer recht kühl - sie könnte ihn ja auch vor Freude anspringen, aber dann tut sie lieber auf 'Die Unnahbare', als seine Reaktion auf die andere (wahre) Nandini zu erwarten. „Komm schon, ich bitte dich!...“, will er dann beginnen, eh sie ihn etwas schroff unterbricht. „Lass gut sein, ja? Ich hab keine Lust darauf, dass du so tust als seist du nett zu mir und im Grunde kannst du mich nicht ausstehen. Du bist doch sicher auf Kirans Seite.“

 

Überrascht sieht Vijay zu Nandini herüber, was hat sie nur? Sie kann doch nicht immer so schlecht gelaunt sein, oder? Oder liegt es vielleicht an ihm? Kann sie ihn nicht leiden? Warum nicht? Warum ausgerechnet kann sie ihn nicht leiden? Jeder kann ihn leiden, vor allem die Mädchen - und sie? Sie hasst ihn gerade zu.

 

„Nandini, ich versteh dich nicht. Ich versuche nur nett zu sein!“

„Du bist mir viel zu nett. Seit wir auf dieser Schule sind redest du mit mir. Keiner redet mit mir, es hat noch nie jemand mit mir geredet. Und warum solltest du, als einer der beliebtesten Schüler es gerade tun?“

Vijay sieht sie lange an, schmunzelt plötzlich, woraufhin Nandini die Stirn verwundert in Falten legt. „Was ist mit dir? Warum schmunzelst du?“ Er zuckt nur mit den Schultern. „Nichts. Ich mag dich echt, ich finde dich nett. Mir ist egal, was andere sagen!“ Nandini lacht nun auf, es ist ein eher hasserfülltes Lachen, ein gehässiges Lachen, dass ihr gewidmet ist. Warum bitte, sollte er sie wirklich mögen?

 

„Ich bin mir sicher, dass das was mit Kiran zu tun hat und eurem Briefchen schreiben im Unterricht, hab ich recht!?“, will sie Bestätigung.

Nun jedoch schwindet sein Schmunzeln vollkommen, das schon schwächer wurde als sie zu lachen begonnen hat. „Was denkst du? Es ging absolut nicht darum, sich gegen dich auf zu hetzen!“

„Ach, das sag ich doch auch gar nicht. Ich bin nicht dumm, Vijay, ich sehe doch, dass Kiran etwas von dir will. Und du bist sicher nicht abgeneigt.“ Nandini hat ihr Buch zugeschlagen, nicht vollständig, sondern so wie sie es immer macht, wenn sie eigentlich weiter lesen will - und zwar in dem sie den Finger zwischen den Seiten macht auf denen sie gerade am lesen ist. „Wer sagt, dass du dumm bist? Du hast uns heute schon oft genug gezeigt, dass du das nicht bist. Was soll ich bitte von Kiran?“, erwidert Vijay, leicht abgeneigt. Ein Bein über das andere geschlagen sitzt Nandini neben ihm, sieht ihn an, dann zu Kiran und dann wieder zurück. Nun sieht auch Vijay einmal zum Eingang, dort wo er Kiran vermutet. Und wie hätte es anders sein sollen, steht sie wie in jeder Pause dort und schaut herüber.

Kiran beobachtet interessiert, was da vor sich geht und wird immer ungeduldiger - warum redet er nur mit Nandini? Was will Vijay nur von dieser kleinen grauen Maus?

„Ach, Vijay... Warum redest du mir mir? Kann ich dir nicht egal sein?“ Nandini sieht ihn neugierig an, wie er ernst zu ihr sieht ihr direkt in die Augen. Ja, er hat es doch tatsächlich geschafft mal in ihre Augen zu sehen. Wieder dieses Braun. Herrlich. Er könnte am liebsten darin ertrinken, wenn er nicht schon dabei sein sollte. Was hat sie noch mal gesagt? Schitt! Jetzt hat er es doch tatsächlich vergessen. Warum auch lässt er sich von ihren Augen ablenken? Von ihrem ganzem Ich? Sie ist wirklich unglaublich.

„Vijay?“

 

Er sieht auf, lässt den Blick von ihre Lippen hinauf zu ihren Augen gleiten. „Was?“

Nandini rutscht ein Stück weiter nach außen, zwar sitzt sie schon ziemlich nah am Ende der Bank, aber immerhin kann sie ihm dann ausweichen, so gut es ihr gelingt. „Ich hab dich etwas gefragt...“

„Ähm, ja?“

„Ja!“

„Oh... Und was?“

Sie schüttelt den Kopf. „Sag mir, was du von mir willst...“ Er rückt etwas näher. „Willst du das wirklich wissen?“, haucht er dann schon fast, sodass sie leicht zurück weicht - obwohl er nicht mal direkt vor ihr sitzt.

 

Nandini kann nicht mal antworten, denn schon taucht neben ihnen eine Person auf. Beide sehen sie zur Seite und hinauf, zu der Person die ihnen etwas Schatten spendet.

Kiran! Wer auch sonst?

Die beiden richten sich etwas auf, Nandini schlägt ihr Buch auf, denn sie weiß, dass sie gleich abgeschrieben ist. Vijay sieht zu Kiran auf, mustert sie etwas argwöhnisch. Warum muss sie zu den schlechtesten Zeiten nerven, gerade war er drauf und dran, etwas an Nandini heran zu kommen. Ihr etwas näher zu kommen. Und dann lässt Kiran diese Seifenblase einfach so mit einem Mal zerplatzen.

 

„Vijay...“

Wie sie den Namen nennt hätte sich dieser lieber die Ohren zu gehalten. Viel zu hoch schien ihre Stimme an seine Ohren zu dringen. Aber auch Nandini verdreht die Augen genervt und dreht sich automatisch von den beiden weg. „Was!?“, will der Angesprochene dann etwas unsanft von ihr wissen. Kiran lächelt, klimpert mit den Augenlidern und sieht Vijay verliebt an. „Kommst du mit mir?“, will sie dann wissen. Vijay kräuselt die Stirn. „Wohin und warum?“, will er dann wissen. „Na, ins Schulgebäude, die Pause ist gleich vorbei!“, entgegnet Kiran ungeniert. Vijay schüttelt zweifelnd mit dem Kopf. „Würdest du mich nur einen Moment allein lassen, ja? Ich komme gleich nach!“ Nandini sieht zu Kiran und Vijay auf. „Geh nur, ich halte dich nicht auf!“, erklärt sie dann. Kiran sieht finster zu ihr hinunter, worauf hin Nandini innerlich schallend zu lachen beginnt, dieses Mädchen ist echt ein Fall für sich. „Da hörst du es, komm schon.“, will Kiran gerade seinen Arm ergreifen und ihm hoch helfen, als sich Vijay unsanft wieder von ihr löst. „Kiran...“ Der Ausruf, der zwar nicht laut war, dafür aber ziemlich hart und mit viel Druck über seine Lippen glitt lässt Kiran erstarren.

 

Keine Minute später geht sie in Richtung Eingang um das Schulgebäude zu betreten. Nicht einmal sieht sie nach hinten, dafür Vijay zu Nandini. „Warum hast du das gesagt?“ Auch Nandini hat Kiran hinter her gesehen und sieht nun überrascht und fragend zu Vijay. „Was hab ich?“, will sie dann wissen. „Du hast gemeint...“ Sie lässt ihn gar nicht ausreden, winkt nur mit der Hand ab. „Sie kann mich nicht leiden. Wer kann es ihr verübeln. Sieh mich doch nur an!“ Vijay sieht sie nun verständnislos an. „Warum machst du dich so schlecht?“

„Warum sollte ich es denn nicht tun?“ Vijay verzweifelt, zu viel mit ihr zu reden scheint nicht gut zu tun. Sie scheint sich vor irgendetwas zu schützen. Vor Nähe? Vor Freundschaft? Oder gar vor Liebe?

 

Er steht auf, zückt aus seiner Hosentasche einen kleinen Zettel und lässt ihn dann auf ihrem Schoß fallen. „Hier, nun hast du eine Ahnung, was Kiran mir geschrieben hat...“ Er geht dann weiter, lässt sie allein zurück, mit dem Zettel, den sie mit zitternden Händen aus ihrem Schoß hebt.

 

Eh Nandini jedoch anfängt den Zettel zu lesen sieht sie zu Vijay auf. Sieht ihm hinter her, bis sie ihn nicht mehr sehen kann. Allerdings hat sie nicht damit gerechnet, dass er auch zu ihr sieht, denn kaum dass er an der Tür angekommen ist dreht er sich zu ihr um. Er bleibt stehen, lächelt schwach wie er bemerkt, dass auch sie zu ihm sieht. Mit leicht roten Wangen sieht Nandini sofort hinunter - beschämt.

Vijay jedoch bleibt stehen, sieht sie eine weitere Zeit lang gedankenverloren an, atmet dann schwer aus und wendet sich ab um endlich ins Schulgebäude zu gehen.

 

Nandini liest sich unter dessen aufmerksam die Zeilen durch. War ja klar, dass Kiran so etwas schreibt, 'graue Maus' und 'Mauerblümchen' wurde sie schon immer von ihr genannt. Aber in den letzten Jahren stört sie es nicht mehr, wenn es sie dann je gestört hat. Kiran war ihr damals egal und so kann sie ihr heute auch egal sein. Aber seine Antwort hingegen überrascht sie. Hat er gehofft, dass sie den Zettel lesen würde, gehofft, dass er so etwas schreiben konnte? Meint er seine Worte ernst? Oder aber sind sie mit Absicht geschrieben? Woher soll er auch wissen, dass die Lehrerin ihm den Zettel gibt und nicht Kiran? Den Zettel durchgelesen sieht Nandini wieder auf, direkt zur Stelle an der Vijay bis eben noch stand. Hat sie etwa gerade gehofft, dass er noch da stehen würde? Doch nicht Vijay.

 

Schwach schüttelt sie mit dem Kopf, senkt ihn dann wieder und lässt ein weiteres Mal die Zeilen auf dem Zettel. Das Ende der Pause wird nach wenigen Minuten eingeläutet und erschrocken fährt Nandini hoch. Hat sie doch für einen Moment nicht damit gerechnet, dass die Pause schon um ist. Langsam steht sie auf, nimmt den Zettel und auch das Buch mit und geht dann in das Schulgebäude. Dort begegnet sie Kiran, was ja kein Wunder ist, wenn beide in der selben Klasse sind. Etwas grob zieht Kiran sie dann von der Klasse weg.

 

„Was habt ihr gesredet?“, will sie dann wissen, als sie sicher ist, dass keiner der Klasse sie hören und sehen kann. „Wovon sprichst du, Kiran? Ich habe...“, will sich Nandini gerade verteidigen, als Kiran sie etwas grob unterbricht. „Na, na... Ich will nur von dir wissen, über was du dich mit Vijay unterhalten hast.“, zischt sie leise und gefährlich. „Weißt du was, Kiran? Wenn du in so einem Ton mit mir sprichst dann werde ich dir nicht antworten. Tut mir leid.“ Nandini will an Kiran vorbei, schafft es aber nicht, da diese sie am Handgelenk zurück häl.: „Ich will jetzt von dir wissen...“ Dieses Mal dreht sich Nandini um, löst sich aus dem Griff von Kiran und sieht sie ernst und mit leicht funkelnden Augen an. „Hör mal, es ist mir vollkommen egal, was du gegen mich hast. Du musst mich nicht mögen. Denn ich muss auch nicht jeden mögen, aber ich zeige das nicht jedem. Weißt du, ich werde nicht mit dir reden, wenn du denkst du seist die Beste. Vielleicht bist du das, aber für mich bist du eine ganz normale Schülerin. Eine wie jede andere hier. Tut mir leid, bis du nicht änderst wie du mit mir redest hab ich es nicht nötig mir dir zu reden.“

 

Etwas wütend betritt Nandini den Klassenraum, strebt genau den Tisch an, an dem Vijay sitzt und setzt sich dann direkt neben ihn. Kiran betritt ebenfalls hinter ihr den Raum und beobachtet was sie tut. Was fällt ihr ein, sich neben Vijay zu setzen? - Das wird sie ihr büßen! Vijay jedoch sieht verwundert zu seiner linken Seite, da er gerade nicht mit ihr gerechnet hat.