Kapitel 4

Ein etwas anderes Treffen

Uh, da hat es aber jemand nicht so mit der Pünktlichkeit.

 

Aryan muss schmunzeln, trinkt von seinem Kaffee und sieht aus dem großen Fenster, des Cafés. Es ist zehn vor zehn und Suhana ist nirgends zu sehen. Vielleicht hat sie es sich ja anders überlegt und sich für den bequemeren Weg entschieden. Sein armer Terminkalender. Er wird ihn vermissen.

Seit gestern Abend ist Aryan nur noch am schmunzeln. Und er kann es auch nicht verhindern. Er ist sich zwar nicht ganz sicher, aber er glaubt er ist sogar mit einem zufriedenem Lächeln eingeschlafen. Zufrieden? Das ist selten bei ihm, in seinem großen Bett. Wie kann man denn da zufrieden einschlafen? Okay, nun hört es sich an, als ob er gestorben ist. Er schüttelt seine Gedanken fort und steht auf. Genau da kommt allerdings eine Person in das Café und steuert in seine Richtung. Das bekommt er allerdings nicht mit, denn er ist zu sehr in seinen Gedanken. Diese gelten aber niemanden bestimmten. Nur seiner leeren Kaffeetasse die er dringen nachfüllen muss. Leider kommt er nicht so weit wie er möchte, keine vier Schritte vom Tisch entfernt läuft einer Person direkt in ihn hinein.

 

Wer diese Person ist wird er allerdings gleich schon erfahren.

 

Wie paralysiert bleiben die zwei stehen.

Dieser Duft, diese Nähe. Irgendwas lässt sie zurück denken. An einen bestimmten Tag. Es ist dunkel, es ist Musik zu hören, aber mehr die Töne die nach oben hallen, der Geruch nach Alkohol steigt ihnen in die Nase. Für einen Augenblick haben beide die Augen geschlossen - bildlich sehen sie das alles vor sich.

Doch dieser Augenblick geht genau so schnell wie er gekommen ist. Was war das? Warum kommt ihnen diese Szene so bekannt vor? Warum taucht sie gerade jetzt auf?

Aryan sieht auf und erkennt vor sich Suhana. „Oh, da sind Sie ja endlich.“, bringt er dann hervor. „Ja, da bin ich. Und zwar...“ Suhana blickt hinunter auf ihre Armbanduhr. „Oh, zwei Minuten vor zehn. Aber ich bin nicht zu spät. Es tut mir leid, ich hab verschlafen und dann hatte ich elende Schmerzen und nun ja... Es tut mir wahnsinnig leid!“

„Haben Sie Durst?“

Ein Blick in seine Augen verrät ihr, dass er sie nicht unterbrechen wollte, es aber tat, weil er selber Durst hat. Sie nickt schwach. „Aber bitte nur einen Kaffee.“, meint sie dann hinzufügend - wobei ihr gar nicht bewusst ist, warum. Denkt sie etwa er würde am frühen Morgen Alkohol trinken?

 

Dass der Mann, ihr gegenüber, den Alkohol abgeschrieben hat an dem Tag als sich die zwei das erste Mal begegnet sind weiß sie natürlich nicht.

 

Aryan deutet zu dem Tisch neben ihnen. „Setzten Sie sich, ich bin sofort wieder da!“ Er lächelt. Erneut. Und das nur, weil er sie wieder sieht? Eigenartig. In ihm macht sich Freude breit, warum auch immer.

Er holt zwei Tassen Kaffee und reicht ihr eine der zwei Tassen, während er sich ihr gegenüber setzt. „Ich trinke meinen Kaffee gerne schwarz.“, meint sie dann, will ihn gerade von sich schieben, als Aryan die Tasse ergreift - an der ihre Hand liegt - und somit auch ihre Hand umfasst. „Bitte, trinken Sie. Es ist kein gewöhnlicher Kaffee. Meine Spezialmischung. Versuchen Sie ihn, wenn er ihnen immer noch nicht schmeckt, dann hole ich ihnen einen normale, schwarzen Kaffee. Versprochen!“

Suhana mustert den Mann ihr gegenüber etwas skeptisch, der Kaffee sieht aus als hätte er einfach nur Milch und Sahne hinzu gemacht. Was bitte soll an Milch und Sahne so besonders sein? Sie zuckt dann aber nur mit den Schultern und nimmt vorsichtig einen Schluck des Kaffees. „Mhhh.“, zieht sie die Augenbrauen hinunter und sieht dann zu Aryan. „Verdammt. Der schmeckt...“ Sie stoppt kurz, er sieht sie erwartungsvoll an. Hat nicht mal von seinem Kaffee getrunken. „...heiß!“, meint sie dann.

„Kaffee ist heiß. Miss, ich verstehe nicht? Was meinen Sie damit?“

Suhana beginnt zu lachen. „Schon in Ordnung. Der Kaffee ist echt sehr lecker.“, gibt sie dann zu. Er schmeckt nicht nur nach Milch und Sahne. Er hat Zucker rein gemacht und noch irgendetwas. Etwas was sie nicht definieren kann.

 

„Haben Sie meinen Terminkalender dabei?“

 

Suhana lacht leicht auf, legt ihre Handtasche auf ihre Beine und sieht dann zu ihm. „Haben Sie mein Geld dabei?“, fragt sie dann lachend. „Ja, ich hab alles dabei. Es sollte reichen für ein neues, großes Haus mit Garten und Pool!“, meint er dann.

„Ach?“, reißt sie nun die Augen auf. „Und wo ist es?“, fragt sie weiter, während sie mit der einen Hand nach dem Terminkalender in ihrer Tasche sucht.

„Na, hier im Aktenkoffer, ich trage bestimmt nicht so viel Geld mit mir in der Hand

herum!“, entgegnet Aryan, mit einem leichten Lächeln.

„Lassen wir das, Sie bekommen den Terminkalender ohne mir etwas zu zahlen. Ich will kein Unmensch sein, es hat mir gestern fast die Tasche voll geheult!“

Aryan beginnt zu lachen und nach dem Suhana ihn ansieht muss auch sie zu lachen beginnen. Sie reicht ihm den Terminkalender, den er dann aufs genauste ansieht. „Aber sie

haben ihm nichts getan oder? Seelische Schmerzen zugefügt, oder ähnliches?“, fragt er dann und blättert die ersten Seiten auf um etwas zu finden. Doch er sieht aus wie immer. Wie ein Terminkalender eben. Aryan sieht hinauf zu Suhana. „Er scheint keine Beschwerden zu haben...“, erklärt er dann und legt ihn neben sich.

 

Ein Blick auf die Uhr verrät, dass die zwei noch genügend Zeit haben...

 

Wenn Suhana heute vor ihrer Freundin flüchten kann, dann würde sie alles dafür tun. Sie ist sehr froh, gerade hier zu sein. Wer weiß, was ihre Freundin gerade macht. Eigentlich will sie das gar nicht wissen. Denn entweder verbringt sie den Tag damit den Männern den Kopf zu verdrehen oder aber sie steht gerade vor Suhanas Wohnungstür und hofft, dass diese aufmacht. Aber darauf kann sie lange warten, denn Suhana ist nicht da. Ungewollt muss Suhana lächeln, wie so oft in letzter Zeit. In letzter Zeit? Seit gestern wohl eher.

„Haben Sie heute noch etwas vor?“, holt Aryan sie aus ihren Gedanken. Etwas erschrocken sieht sie zu ihm. „Heute. Nein, warum?“, fragt sie, wobei sie nicht bemerkt, dass wie sie in Gedanken war Aryan sie die ganze Zeit beobachtet hat. „Ich frage aus reiner Neugierde. Kann ja sein, dass sie verabredet sind. Sollte dies aber nicht der Fall sein...“, beginnt er dann. Doch nun stockt er etwas, wie kann er das sagen, ohne dass es zu überstürzt kommt?

Suhana sieht ihn mit neugierigen Augen an. Dies macht ihn allerdings noch nervöser. „Ich bin nicht verabredet. Also, warum denn auch?“, meint sie dann, lächelt leicht und sieht ihn neugierig an.

„Nun ja, ich dachte nur...“

Suhana weiß nicht auf was er hinaus will, warum stockt er denn so? Oder seit wann? Er hat die ganze Zeit davor keinen Grund gehabt dafür und auch jetzt nicht. „Was dachten Sie?“, fragt sie weiter, beginnt zu schmunzeln und nimmt weiterhin ab und zu einen Schluck ihres Kaffees. Er ist echt verdammt gut, was er da wohl nur rein getan hat?

 

Wenn Aryan jetzt sagt, was er denkt, wie würde es bei Suhana ankommen?

 

„Ach, schon in Ordnung!“, winkt er dann ab. Er fragt lieber nicht, sie wird ihn sicher falsch verstehen. Ein intensiver Blick würde zwar alles sagen, aber den bemerkt sie nicht einmal. Ihr Blick liegt gerade auf ihrer Tasse. Etwas verzweifelt zieht er die Mundwinkel nach hinten, schüttelt dann mit dem Kopf und greift nach seiner Tasse. Während er dies tut sieht Suhana wieder zu ihm auf, erwidert dann seinen Blick, den er dann hebt und ihr in die Augen sieht. Sie zuckt nur mit den Schultern, ihn zwingend etwas zu sagen kann sie auch nicht. Vor allem weil er ihr eigentlich total fremd ist. Ja, was für eine Person ist das eigentlich, die ihr da gegenüber sitzt? Außer, dass er Aryan Malhotra heißt, er auf ihrem College war und recht gut aussieht weiß sie nichts weiter über ihn.

„Aber haben Sie nicht noch ein Termin heute? Sie mussten doch sicher nicht umsonst den Terminkalender so schnell wie möglich wieder haben, oder!?“, meint sie nun.

„Nein, den Terminkalender musste ich wieder haben, weil ich so verdammt vergesslich bin. Ich hab zwei Termine heute, einen heute Mittag, in einer guten Stunde und der andere folgt direkt darauf.“, erklärt er dann.

„Ich würde mich an Ihrer Stelle auf so etwas gar nicht einlassen. Ich mein, wer arbeitet schon an einem Samstag und Sonntag freiwillig?“

„Ich.“

Suhana blickt zu ihm auf, hat er das gerade echt gesagt? Oder hat sich das nur wie ein 'Ich' angehört? Wer weiß, vielleicht war es ja auch nur ein Zischen. „Was?“, fragt sie dennoch.

„Ja, wissen Sie, ich muss meist sogar am Wochenende arbeiteten. Aber ich habe mich daran gewöhnt!“, erklärt er dann und nimmt einen Schluck seines Kaffees. Er versucht seine Gefühle nicht zu stark zu zeigen, denn er ist eigentlich selber Schuld, dass er am Wochenende arbeitet. Denn er ist sein eigener Chef.

 

Hätte er diese eine Antwort für sich behalten, so wäre es gar nicht so weit gekommen.

 

Aryan mustert Suhana, wie diese zu nicken beginnt, ihn etwas bemitleidend ansieht und dann von ihrem Kaffee trinkt. „Sie armer. Ich könnte das nicht!“, meint sie dann nur, etwas anerkennend.

Aryan schmunzelt nun leicht. „Es ist in letzter Zeit gar nicht zu verhindern, es gibt eine Menge zu tun, da kann man nicht einfach mal sagen, dass es erst am Montag gemacht werden kann. Unsere Lieferungen müssen meist samstags raus...“, erklärt er dann.

Suhana nickt interessiert, stellt die Tasse zurück auf den Tisch und verschränkt beide Arme über dem Tisch zusammen, um ihn weiter ansehen zu können. „Und wieso schaffen Sie das nicht vorher?“, fragt sie neugierig. „Ach, wissen Sie! Da gibt es hin und wieder Mitarbeiter die dann meinen, es reicht wenn sie ihre Unterlagen gerade zum vereinbarten Zeitpunkt einreichen.“, meint er dann, nun etwas in Gedanken versunken. Er denkt an Raj, wobei dieser zwar seine letzte Arbeit erst gestern Abend bei ihm abgegeben hat, sonst aber immer einer der Personen ist, die ihre Arbeit über pünktlich abgeben. Raj ist in letzter Zeit eh etwas komisch drauf, viel abgelenkt. Aber warum macht Aryan sich gerade jetzt Gedanken darüber? Er schüttelt leicht mit dem Kopf, nimmt einen Schluck seines Kaffees und sieht zu Suhana.

 

Wenn er ehrlich ist, könnte er noch den gesamten Tag hier mit ihr sitzen.

 

„Oh, da kann man nichts machen, diese Leute gibt es immer wieder!“, meint nun Suhana etwas belustigt, sie kennt so eine Person. Und zwar ihre Freundin! Anju ist verdammt gut in so etwas.

„Ich hoffe doch, es macht Ihnen nichts aus, wenn wir das Thema wechseln könnten oder?“, meint Aryan dann unterbrechend, nicht, dass er was dagegen hätte, wenn sie weiter reden. Doch das Thema passt seiner Meinung nach gar nicht hier her.

„Oh, selbstverständlich.“, meint Suhana einverstanden.

„Sie sagten vorhin etwas davon, dass sie heute Morgen Schmerzen hatten. Warum hatten sie denn Schmerzen? Ich mein, ich weiß, es geht mich eigentlich gar nichts an, aber es kann ja sein, dass Sie nur nicht her kommen wollten.“, meint Aryan, lächelt am Ende seines Satzes und sieht sie dennoch neugierig an.

Suhana jedoch stockt etwas. Eigentlich könnte sie sich jetzt aufregen, warum er sie so

etwas fragt. Es ist etwas privates und etwas, was ihn gar nichts angeht. Etwas, was ihn nicht zu interessieren hat. Doch all das ist ihr egal, seine Frage war weder unhöflich gestellt, noch hat sie das Gefühl, dass er ihr etwas Schlimmes will. Aber kann sie ihm es einfach sagen? Sagen, was sie seit gestern belastet? Irgendjemand muss sie es sagen, das weiß sie. Und wäre da nicht Aryan genau der Richtige dafür? Eine ihr völlig fremde Person, die sie nicht kennt, die sie nach dem heutigen Tag sicher nie wieder sehen wird? Eine Person, die ihr vielleicht sogar helfen könnte, bei ihrer Entscheidung?

 

Wenn Suhana doch nur wüsste, dass sie damit dem Vater des Kindes sagt, dass sie ein Kind von ihm erwartet.

 

„Oh, nein, das ist nicht der Grund. Nein, es ist was ganz anderes, in letzter Zeit hab ich diese Schmerzen immer. Sie gehören schon fast dazu, ich weiß zwar nicht, wann sie aufhören, aber na was soll man machen?“, meint sie dann und trinkt wieder einen Schluck ihres Kaffees. „Das würde sehr wahrscheinlich jeder Frau in meinem Zustand so gehen!“ Aryan versteht zwar nicht, worum es geht, aber er hört weiterhin gespannt zu. Irgendwie klingt ihr Gesagtes interessant und es macht ihn neugierig. Er hat zwar einen Verdacht, aber er kann es nicht sagen, nicht sagen, ob es wirklich das ist an was er denkt. Und vor allem warum sollte so jemand wie Suhana ihm ausgerechnet von ihren Frauenproblemen erzählen? Einem Fremden? „Jede Frau in Ihrem Zustand würde das auch haben?... Sie vergleichen sich mit anderen? Ich bin etwas verwirrt!“, meint er dennoch um weiterhin sein Interesse zu zeigen. Ein Blick auf seine Armbanduhr verrät ihm, dass es zwar nicht mehr wirklich viel Zeit ist, bis er sein Gespräch hat, aber er wird sich dies nicht anmerken lassen. Denn wenn es nach ihm ginge, könnte er jetzt noch weiter mit Suhana reden. Sie ist ihm so vertraut, als ob sie sich schon ewig kennen. Immer wenn er davon gehört hat, musste er lachen, so was war eigentlich vollig lächerlich. Wie kann man denn fühlen, dass man sich ewig kennt, wenn man sich vorher nur ein mal getroffen hat? Und nun... Nun geht es ihm nicht anders.

Suhana reißt ihn aus seinen Gedanken, wobei ihm ihr Lächeln auffällt. „Na, ich denke das es jeder schwangeren Frau ähnlich ergeht...“

 

Nun ist es raus und Suhana fällt aus irgendeinem Grund ein riesen Stein vom Herzen.

 

„Schwangeren Frau? Sie sind schwanger?“, fragt Aryan etwas überrascht, sieht an ihr hinunter, sieht aber nicht, dass sie irgendwie dick wäre. Im Gegenteil, sie sieht sehr gut aus und noch sehr dünn. Okay, sie wird sicher erst in den ersten Wochen sein. Jedoch muss er zugeben, dass er damit nicht gerechnet hat. Er hat mit anderen Dingen gerechnet, aber nicht damit, dass sie schwanger ist. Nun weiß er nicht ob er sich freuen soll, oder nicht. Jedenfalls, scheint sie nicht besonders glücklich zu sein. Aber ein Kind ist doch etwas tolles? Eine Familie ist doch etwas tolles, oder? Ihr Mann wird sich da doch sicher über das Kind freuen? Er jedenfalls würde sich sicher über Kinder freuen, das heißt, sollte ihm mal irgendwann auch die richtige Frau über den Weg laufen. Er bemerkt zuerst gar nicht, dass Suhana mit einem halben Lächeln zu nicken beginnt. Er nimmt es zwar wahr, aber ist zu sehr in seinen eigenen Gedanken. Wie sehr er sich manchmal selber bemitleidet, sein Leben ist das reinste Chaos, es ist echt für die Mülltone aufgebaut worden. In letzter Zeit läuft auch echt alles bei ihm schief.

 

Ach, wenn Aryan doch nur wüsste!

 

„Sagen Sie mir nicht, dass Sie sich nicht auf Ihr Kind freuen?“, redet er dann weiter, um den Faden nicht zu verlieren und nicht vom Thema ab zu kommen. Das Thema interessiert ihn irgendwie. Nein, Suhana interessiert ihn. Sie ist eine sehr offene und ehrliche Person, das spürt er.

„Was soll ich Ihnen darauf antworten? Ich weiß nicht wo der Vater des Kindes zu diesem Zeitpunkt ist. Er sollte es erfahren. Er sollte erfahren, ob ich es behalten möchte, oder es nicht behalten möchte. Meiner Meinung nach hat er ein Recht darauf.“

Aryan nickt nun. „Oh, also diese Sorte, von Männern ist er also!“, meint er dann.

Suhana zuckt etwas zurück, beginnt dann zu lachen und schüttelt mit dem Kopf. „Ach, wenn ich das doch selber wüste, dann wäre ich viel weiter!“, meint sie dann und sieht ihn verzweifelt an.

„Wie Sie wissen nichts vom Vater? Wo er ist und was er gerade macht?“

„Das Ganze ist viel komplizierter als Sie glauben!“

„Ach? Finden Sie? Ich sehe da nichts Kompliziertes... Ich will gar nicht wissen, wann er gegangen ist und Sie mit dem Kind allein gelassen hat!“

„Ach, Sie verstehen wirklich nicht...“

„Nein? In welchem Monat sind Sie?“

„Ungefähr im dritten Monat...“

„Wie? Und Sie wissen das aber schon lange, oder?“

„Nein, seit gestern.“

 

Warum lässt das Schicksal zu, dass die zwei aneinander vorbei reden?

 

„Seit gestern? Eh Sie mit mir zusammen gestoßen sind, oder danach?“

„Davor!“

Aryan nickt ungewollt. „Ich weiß gar nicht was man da falsch verstehen kann. Für mich ist das alles ganz klar. Er hat Sie sitzen lassen... Sucht sich bestimmt schon die Nächste um ihr schöne Augen zu machen!“

Suhana schüttelt mit dem Kopf. „Der Vater und ich... Wir waren nie zusammen, wenn ich das mal aufklären kann, eh sie noch falsche Schlüsse ziehen. Diese Geschichte ist total chaotisch, viel zu verwirrend um sie zu verstehen. Ich verstehe sie ja selber nicht mal. Vor allem, weil ich total dämlich war. Es ging alles so schnell, so hab ich mir das alles nie vorgestellt gehabt. Ich hätte einfach nicht auf meine Freundin hören sollen und so viel Alkohol zu mir nehmen sollen...“

„Alkohol?“

„Ja, ich sage ihnen, einmal und nie wieder! Dieser Alkohol hat mein Leben zerstört!“

„Da geht es Ihnen wohl wie mir. Ich sage mir, dass Alkohol keine Droge ist, sondern eine Folter! Es raubt dir den klaren Verstand und lässt dich unerahnte Dinge tun!“

„Das meine ich!“, stimmt ihm Suhana nun zu und leert dann ihre Kaffeetasse, stellt die leere Tasse ab und sieht dann zu Aryan hinauf. Sie beginnt zu lächeln, da auch er schwach zu lächeln beginnt. Dass es ihm genau so ergeht, oder dass er sie wenigstens versteht macht sie irgendwie froh. Sie hatte zuerst befürchtet, er würde sie falsch einschätzen, oder dann denken, dass sie es selber wollte oder gar gerne Alkohol trinkt und ihr dies öfters passiert, was ja nicht der Fall ist - wobei sie ja überhaupt keine Ahnung hat, was er denkt.

 

Da sitzen die zwei zusammen und reden von der selben Situation und wissen es nicht einmal.

 

Suhana würde gerne wissen, was er jetzt von ihr hält. Zwar versucht sie die ganze Zeit nicht dran zu denken, sich keine Vorwürfe zu machen, dass sie es ihm erzählt hat. Denn eigentlich kann es ihr egal sein, sie sieht ihn nie wieder. Zu mindestens hat sie nicht vor ihn wieder zu sehen. Viel mehr muss sie sich auf anderes konzentrieren, darauf, ob sie das Kind will oder nicht. Und auch darauf, wie sie es schaffen soll wieder zur Arbeit zu kommen. Sie muss sich entscheiden! Egal was kommt, sie kann diese Entscheidung nicht verdrängen. Könnte ihr denn nicht jemand helfen? Irgendjemand, der sie vielleicht versteht?

Anju? Das wäre echt absurd. Ihre Freundin weiß nicht mal, wie sie ihr eigenes Leben auf die Reihe bekommt. Okay, das ist vielleicht etwas übertrieben, aber Suhana kommt es immer so vor als ob ihre Freundin erst einmal sie nach Rat fragt, eh sie etwas selber tut. Also, was soll man denn sonst daraus schließen?

Wobei ihr, gerade in dem jetzigem Moment die Frage kommt, was ihre Freundin gestern bei ihr wollte. Wenn sie überhaupt etwas wollte. Nun gut, es gibt Wichtigeres.

Zum Beispiel diese eine Frage, ob sie dieses Kind nun behalten soll oder nicht!?

 

Was tut sie eigentlich da? Stellt sich eine Frage und erwartet direkt Antwort.

 

„Darf ich Sie etwas fragen?“

Suhana schreckt aus ihren Gedanken und sieht zu Aryan auf. Dieser sieht sie fragend an. „Natürlich, nur zu tun Sie sich keinen Zwang an.“, entgegnet sie dann, sich wieder gefangen.

Aryan stockt etwas, soll er sie fragen oder nicht? Ist die Frage nicht vielleicht etwas zu persönlich? Wird er da nicht etwas zu neugierig? Er ist ihr fremd, genau so wie sie ihm fremd ist. Aber was soll es, fragen kostet schließlich nichts, oder? Er hofft nun allerdings, dass sie ihm dann nicht gleich sauer ist. Aber für seine Neugierde kann er leider nichts, das ist ihm angeboren, das hat er von seinem Vater. Er beginnt zu lächeln und sieht zuerst hinunter, zur Tasse in seinen Händen, irgendwie muss er entweder jetzt die Frage stellen oder aber er ist sich sicher, dass er es ganz lassen wird. „Möchten Sie das Kind eigentlich behalten?“

Kann der Mann, Suhana gegenüber, Gedanken lesen? Etwas überrascht und nun sprachlos sieht sie ihn an. Was soll das? Oder ist er so begabt, dass er sie nur ansehen braucht und weiß, was sie denkt, was sie fühlt? Das wäre ja echt mal was Neues. Sie streicht die Gedanken augenblicklich fort, sieht dann etwas traurig hinunter auf den Tisch. Was soll sie darauf antworten? Sie hat ja selber nicht mal eine Ahnung. Wie kann man diese Frage denn beantworten, wenn man selber unsicher ist?

 

Aryan und Suhana scheinen jedenfalls schon mal die selben Gedanken zu hegen. Ein Anfang, oder?

 

„Wissen Sie, wenn ich ehrlich bin hab ich überhaupt keine Ahnung was ich tun soll!“

„Wie, Sie haben keine Ahnung?“

„Na, was 'Wie, Sie haben keine Ahnung?' Was soll ich denn wissen?“

„Das ist doch eigentlich ganz einfach. Haben Sie den rein gar nichts gespürt als es passiert ist? Ich mein, klar kann es sein, dass sie durch den Alkohol weggetreten waren, aber so was entgeht einem doch nicht. Ihnen war doch sicher bewusst was da mit ihnen passiert ist, oder?“

Und wie ihr das alles bewusst war. Suhana hat hin und wieder immer noch Träume in dem sie das ganze bildlich vor sich sieht. Sie hat an dem Abend das Gesicht des Mannes nicht gesehen, nicht drauf geachtet. Und in Träumen ist es eh immer verschleiert. Aber wie kann man das erklären? Ihr waren die Berührungen nicht gleichgültig, nicht egal und sie ließen sie auch nicht kalt. Sie spürte alles, aber was soll das eigentlich, das kann sie doch nicht dem Mann ihr gegenüber sagen.

„Selbstverständlich war mir klar was da mit mir geschieht!“

„Nun gut, haben Sie irgendwie etwas gemerkt, etwas... nunja, wie kann man das erklären... irgendetwas was Ihnen sagt, dass Sie nun diese Entscheidung besser fällen können!?“

„Darum geht es doch nicht... Wenn ich den Kerl doch nie wieder gesehen hab, davor nicht mal kannte, obwohl wir zusammen auf ein College gingen. Ich mein, wie kann ich diese Person einschätzen? Was ist, wenn dieser jemand vollkommen aus rastet, weil ich ihm ein Kind anhängen will? Dabei will ich das gar nicht. Meiner Meinung nach hat er einfach das Recht darauf etwas davon zu erfahren! Mehr nicht.“

 

„Also, wenn ich das jetzt nicht falsch interpretiere möchten Sie von mir wissen, ob Sie das Kind behalten sollen oder nicht?“

„Na endlich. Ich dachte Sie kommen nie drauf. Ja, genau, nichts anderes wollte ich wissen. Also, was sagen Sie? Ja klar, Sie sind nicht der Vater, aber nehmen wir mal an Sie seien es. Und ich säße jetzt vor ihnen und würde ihnen sagen: 'Aryan, Du wirst der Vater meines Kindes!' was würden Sie dann sagen?“

„Ich denke ich wäre erst einmal geschockt und müsste Ihre Worte sacken lassen. Dann würde ich Sie fragen, was Sie von der ganzen Sache halten. Ihnen sagen, dass wir uns nicht kennen und es schwer wäre dieses Kind zu erziehen oder immer für es da zu sein, ich bin ein schwer beschäftigter Mann müssen Sie wissen!“

„Hey, das ist nicht witzig. Sie nehmen das Ganze gar nicht ernst!“

„Oh, doch, ich versuche mich jetzt in die Lage, des Mannes auf den Sie es abgesehen haben, zu versetzen. Leicht ist das nicht, sag ich Ihnen!“

„Okay. Also gut. Haben Sie es sacken lassen?“ Suhana hat bewusst eine kurze Pause in ihrem Satz gemacht, um das ganze etwas dramatischer wirken zu lassen. Die Situation ist schon etwas eigenartig, aber Aryan bringt sie dazu auf eine andere Weise diese Sache zu betrachten. Das hilft ihr gerade ungemein. So komisch es klingen mag. „Mhhh. Ja, ich denke schon. Weiter im Text!“, reist Aryan sie aus ihren Gedanken.

„Gut, sehr wahrscheinlich würde ich dann mit den Worten 'Und ich möchte jetzt von Dir wissen, ob Du willst, dass ich dieses Kind abtreiben lasse oder aber ob ich es behalten soll. Ich werde akzeptieren, für was Du dich entscheidest!' entgegnen.“

„Das würden Sie echt sagen? Sie sind aber nett. Ich meine, würden Sie echt so reagieren?“

„Ja, ich denke schon. Zu mindestens will ich es hoffen, warum denn?“

„Ich weiß jedenfalls nicht, ob mich das so locker lassen würde. Denn entweder hat er sich dann auch um das Kind zu kümmern, oder er sollte sich für die Abtreibung entscheiden!“

„Das ist doch das, was ich gesagt habe...“

 

Was machen die zwei da gerade eigentlich? Warum tun sie denn nur so, als 'könnte' er der Vater sein?

 

„Na schön, dann bin ich mir sicher, dass Sie selber einfach noch nicht bereit sind, diese Frage zu beantworten.“, schlussfolgert Aryan ruhig.

„Wie... Wie meinen Sie das?“

„Ganz einfach. Ich finde es nicht schlimm, dass Sie mich gefragt haben, oder um Rat gebeten haben. Ich bin sogar sehr geschmeichelt, ich erlebe es nicht täglich, das mich jemand so was fragt. Aber wissen Sie, Sie haben diese Nachricht gestern erst bekommen. Sie müssen sich selber erst einmal darauf einstellen. Oder finden Sie nicht!?“

Suhana lässt seine Worte auf sich wirken. Irgendwie ergeben sie Sinn und sie muss ihm Recht geben. Warum soll sie sich jetzt schon darüber einen Kopf machen, wenn ihr noch über drei Wochen dafür bleiben? Warum ist sie da nicht selber drauf gekommen? Warum hat sie sich nur so einen Kopf darum gemacht? Er hat vollkommen Recht. Auf einmal atmet sie viel beruhigender, sieht zu ihm, sieht ihn lächelnd an und hat einen dankendes Glitzern in den Augen. Sie ist erleichtert, auch wenn sie nicht wirklich weiß warum. Es ist, als ob ihr gerade ein großer Stein vom Herzen fällt. Erneut.

„Danke.“, meint sie dann plötzlich und holt ihn aus seinen Gedanken, da er sie gerade etwas fragend angesehen hat.

„Wofür denn?“

„Na, sie haben mir eine große Last genommen.“

„Echt?“

„Ja, echt! Ich bin Ihnen sehr dankbar!“

„Ach, kein Problem. Ich helfe gerne!“

 

Ach, wie unglaublich naiv diese zwei Menschen doch eigentlich sind.

 

„Oh...“, entfährt es Aryan, wie er erneut auf seine Uhr blick. „...Es tut mir leid, Suhana, aber ich muss unserer Gespräch leider beenden, ich danke Ihnen wirklich sehr, dafür, dass Sie mir meinen Terminkalender wieder gebracht haben. Aber mein Termin ist in einer guten halben Stunde und ich wollte nicht zu spät da sein.“, steht er nun entschuldigend auf.

Auch Suhana steht kurz darauf auf und greift dann in ihre Handtasche. „Ah, eh ich es vergesse. Ich hab ihre Nummer aus dem Buch heraus geschrieben eh ich sie angerufen habe. Hier, nehmen Sie sie zurück. Ich brauche sie nun ja nicht mehr!“

Aryan sieht hinunter zu dem Zettel den sie ihm nun reicht, dann sieht er wieder zu ihr und beginnt augenblicklich zu lächeln. „Behalten Sie die Nummer. Wer weiß, wann sie Ihnen gerade recht kommt. Ich biete Ihnen hiermit meine Hilfe an, wenn Sie etwas brauchen, Sie einfach mal jemanden zum Reden brauchen oder sonst etwas, ich habe mein Handy immer an.“

„Aber... Warum?“

„Kein Aber. Und kein Warum. Einfach, weil ich das Gefühl habe, Sie können Hilfe gebrauchen. Vor allem in Ihrem jetzigen Zustand. Also, bitte, behalten Sie die Nummer!“

„Danke.“, flüstert Suhana, nickt kaum merklich und zieht die Hand mit dem Zettel wieder zurück. „Vielen Dank.“

„Ach und der Kaffee geht auf mich.“, ergänzt er. „Einen schönen Tag noch.“

Suhana blickt auf, sieht wie er einen Geldschein auf den Tisch legt, sich kurz zu ihr wendet, lächelt und ihr dann die Hand reicht. Diese sieht sie zuerst an, dann ihm ins Gesicht, kurz darauf merkt sie wie sie ihre Hand in seine legt und ebenfalls zu lächeln beginnt.

Irgendwie zuckt ihr gesamter Körper bei dieser harmlosen Berührung zusammen. Ihr Körper erkennt diese Berührung, diesen Griff und diese Hand, doch ihr Verstand kann rein gar nichts einordnen. Anschließend sieht sie ihm noch eine ganze Weile hinter her, wie er sich umdreht und das Café verlässt. Sie muss schmunzeln - ein wirklich komischer Kerl dieser Aryan.