Kapitel 12

Ein Schicksalsschlag der zwei Herzen zusammen führt…

Fast ein ganzer Monat ist nach Aryans und Suhanas Treffen ins Land gegangen. Was dort am späten Abend passiert ist haben sie bis her versucht zu verdrängen. Auch wenn sie immer wieder zurück denken. Darüber reden tun sie jedenfalls nicht. Zwar haben sich die zwei nicht mehr zu zweit treffen können, aber dafür sind ihre Telefonate mehr geworden. Was heißt hier eigentlich nur mehr geworden? Sie rufen sich fast täglich an. Und während sie sich immer wieder erzählen wie der Tag war, erzählt Suhana immer wieder von ihrem Arztbesuchen, die sie jede Woche einmal macht. Das muss sie zwar nicht, aber sie geht gerne auf Nummer sicher. Da ist sie sehr vorsichtig. Aryan und Suhana haben sich schon so sehr daran gewöhnt miteinander zu reden, das es schon richtig zur Gewohnheit geworden ist. Etwas, was nicht vergessen werden darf und unbedingt erledigt werden muss. Manchmal kommt es aber auch vor, dass Suhana bereits zu Hause ist, während Aryan noch im Büro ist. So wie an diesem Tag.

„Sag mal, warum höre ich noch andere Männer im Hintergrund? Steigt bei dir ein Männer Abend? Oder sitzt du etwa noch in Büro?“
„Ich sitze noch im Büro, warum?“
„Was? Um kurz nach acht sitzt du noch in deinem Büro? Was ist mit deiner Mutter? Du bist unmöglich. Ab mit dir nach Hause! Deine Mutter ist bestimmt krank vor Sorge.“
„Krank ist sie eh schon.“
„Entschuldige. Aber du weiß genau was ich meine. Also los!“
„Ist ja gut. Du hörst dich glatt so an, als seist du verheiratet. Genau! Wie eine verheiratete Frau hörst du dich an!“
„Wirklich sehr witzig. Pack jetzt deine sieben Sachen und geh zum Auto. Ich rede so lange nicht mehr mit dir, wenn du nicht nach Hause fährst“
„Ist gut, du folgst mir jetzt einfach ja? Ich werde jetzt meine Sachen nehmen, ins Auto gehen, doch dort laut stellen und dann mit dir ins Haus treten.“
„Ist gut, sag mir was du machst.“
„Jap, mach ich...“
„Irgendwie komisch. Ich sitze hier auf meinem Sofa und du führst mich zu dir nach Hause!“

Suhana beginnt zu lachen, irgendwie findet sie das sehr amüsant, sie kann sich richtig vorstellen, was er macht, erst recht, wenn er es ihr alles haargenau erklärt. „Also schön. Nun hab ich meine Jacke, meinen Aktenkoffer und mein Terminkalender und werde mein Bürozimmer verlassen. Hörst du die Tür?“, redet Aryan auch schon drauf los und tut auch wirklich all das, was er ihr sagt. „Ja, ich höre es. Nun zum Glück ist dein Terminkalender dabei, der darf ja nicht fehlen!“, lacht sie nun erneut auf. Irgendwie macht ihr das riesen Spaß. Während sie auf dem Sofa sitzt stellt sie sich seine Umgebung vor. Und es scheint zu klappen. „Ganz genau! Nun schön. Ich bin nun unten am Ausgang und gehe hinaus auf den Autoparkplatz und nun direkt auf mein Auto zu.“, erklärt er weiter. Gespannt drückt sie das Telefon weiter an ihr Ohr, versuchend außer ihm seine Umgebung wahr zu nehmen. Also die Männerstimmen sind weg, nun hört es sich viel mehr danach an, als ob er draußen ist. Sie hört Autos, dann wie eine Tür aufgeht und sie wieder zu geht. Dann verstummen die Autos. „So, entschuldige, ich musste dich gerade mal laut stellen.“ Suhana beginnt zu schmunzeln, eh sie einen Motor angehen hört.

„Aua.“
„Was ist denn. Vom Sofa gefallen?“
„Nein, ich bin lauter geworden. Du machst das alles echt, oder simulierst du nur? Hast du nun auch noch spezial Effekte auf deinem Computerprogrammen?“
„Ich spiel dir das nicht vor das denkst du denn? Ich bin nun auf dem Weg nach Hause, in meinem Auto. Glaub mir einfach!“
„Okay, ich glaube dir. Es hört sich alles sehr echt an.“
„Na siehst du. Und nun fahre ich gerade die Auffahrt hinauf.“
„Wow, du scheinst in der Nähe deiner Firma zu wohnen!?“
„Jap, nur 10 Minuten.“
„Und dann fährst du mit dem Auto?“
„Zu Fuß wäre es fast eine halbe Stunde. Okay, ich hab den Wagen geparkt, stelle dich nun wieder leiser und nehme dich mit ins Haus.“
„Uhhi, bin ich aufgeregt.“
„So, das Auto ist abgeschlossen und nun stehe ich vor der Haustür. Schließe sie auf und,
Moment... Mama! Ich bin wieder da!“
„Och, wie süß.“
„Was denn?... Oh, mein Gott!
„Aryan? Aryan, was ist? Aryan!?

Die Leitung ist tot! Suhana hört nach wenigen Minuten, wie sie vergebens versucht ihn noch einmal zu hören, das Tuten einsetzt, dass ihr beweist, dass er aufgelegt haben muss. Sie zieht langsam das Telefon vom Ohr, starrt es besessen an und hoffte es würde klingeln. Hofft, Aryan würde wieder anrufen, sagen, dass alles okay ist. Aber nichts geschieht. Rein gar nicht. Das Telefon bleibt stumm und um sie herum herrscht Stille. Auch wenn sie will, das Telefon bleibt weiter in ihrer Hand und ihr Blick an dem Gerät haften. Als ob sie es beschwören wolle um es zu zwingen, dass es zu klingeln beginnt. Alles vergebens. Nach endlosen Minuten lässt sie das Telefon sinken, steht vom Sofa auf und beginnt ungeduldig in ihrem kleinem Wohnzimmer auf und ab zu gehen. Da kann was nicht stimmen. Es muss was passiert sein. Hundertprozentig. Das hat sie gehört. An seiner Stimme. Wie so oft. Und ausgerechnet jetzt wird ihr schlecht. Immer zu den dämlichsten Zeiten. Das kommt von der Aufregung. Der Sorge. Um Aryan. Doch die Sorge und die Angst bleibt auch wie sie wieder aus dem Bad kommt. Sie legt sich eine Hand an die Stirn, die andere auf den Bauch und lässt sich dann wieder auf dem Sofa nieder. Ihre Stirn fühlt sich warm an, aber das ist ihr in dem Moment egal, irgendwie muss sie doch heraus finden, was los ist. Wenn sie doch nur wüsste wo er wohnt.


***


Bei Aryan sieht das Ganze etwas anders aus. Er wollte das Gespräch nicht beenden. Doch wie er die Küche betreten hat lies er, vor Schreck, das Handy fallen. Sein Gehirn setzte aus, seine Gedanken schwanden. Und nun, nun steht er immer noch in der Küche. Atmet schwer ein und wieder aus, fährt sich mit den Händen immer wieder durch die Haare, schüttelt mit den Kopf und macht dann einen Schritt nach dem anderen um den Küchentisch herum. Nein! Er lässt sich verzweifelt zu Boden sinken. „Mama.“, schluchzt er dann auf. Legt sich eine Hand vor die Augen und schüttelt weiterhin mit dem Kopf. Er sieht neben sich, zu seiner Mutter die regungslos auf dem Boden liegt. Die Augen geschlossen. Den Atem angehalten. Und er sieht sie starr an. Er kann es nicht fassen. Vorsichtig streicht er ihr über die Wange, lässt die Hand sinken und fasst dann an ihren Hals. Er spürt etwas. Ihr Puls schlägt noch. Er reist die Augen auf. „Mama. Mama, hörst du mich?“, fragt er dann, versucht irgendwie an das Haustelefon auf dem Tisch zu kommen. Mit Müh und Not schafft er das auch. Mit zitternden Händen wählt er die Nummer des Krankenwagens und meint, dass es dringend sei. Wie er wieder auflegt zieht er seine Mutter in seine Arm und hält sie fest, versucht sie irgendwie wach zu halten. Dann fällt ihm sein Freund ein und er ruft bei Raj an, eh er sich wieder ganz seiner Mutter zuwendet, die nach einiger Zeit wieder die Augen öffnet.

„Mama...“
„Mein Sohn. Schhhh. Nicht weinen.“
„Bitte, Mama. Halte durch, ich hab einen Krankenwagen gerufen.“
„Dein Vater wartet auf mich.“
„Nein, Mama. Bitte, du kannst mich nicht allein lassen. Halte durch. Mama bitte...“
„Sei stark, mein Sohn.“
„Verlass mich nicht Mama. Wen hab ich denn außer dir?“
„Du hast doch so viele Menschen in deiner Umgebung. Wen hab ich schon.“
„Nein, Mama. Bitte, mach die Augen auf.“
„Mhhhh. Schhhhh!“
„Die Tür. Warte bitte. Das ist entweder Raj oder der Krankenwagen. Mama, bitte warte hier. Bleib einfach liegen!“

„Ich bin so schnell gekommen wie ich konnte. Was ist denn los? Und wie siehst du aus?“
„Ohh, Raj. Meine Mom. Bitte bring die Leute vom Krankenhaus gleich rein ja, sie sollen die
Liege nicht vergessen ich muss zu meiner Mutter.“
„Keine Sorge, ich warte hier auf sie. Geh du zurück! Sie sollte nicht allein sein!“
„Danke dir. - Mama? Da bin ich wieder. Hörst du mich, Mama? Bitte, Mama. Ich flehe dich an, verlass mich nicht. Bitte...“
„Aryan?“
„Ja?“
„Sag mir, war ich eine gute Mutter?“
„Was fragst du das? Es gibt keine bessere als dich. Und deswegen darfst du mich auch nicht allein lassen.“
„Die Leute vom Krankenhaus... Ich höre sie...“
„Ich auch. Raj ist vorne, er bringt sie hier her. Keine Sorge, dir geht es bald wieder besser. Nur, halte durch. Bitte!“
„Könnten wir bitte an Ihnen vorbei? Sonst können wir Ihre Mutter nicht mitnehmen.“
„Aryan? Komm Aryan. Lass sie los.“
„Hörst du Mama? Lass mich nicht allein...“

Danach geht alles ganz schnell. Und für Aryan viel zu schnell. Er lässt sich von Raj hinter dem Krankenwagen ins Krankenhaus fahren. Sein Blick jedoch liegt außerhalb des Beifahrerfensters er will gar nicht daran denken, dass, wenn er jetzt ankommt und der Arzt schlechte Nachrichten für ihn hat. „Fahr doch mal schneller.“, herrscht er dann seinen besten Freund an und sieht kurz zu ihm. „Ich kann nicht schneller, der Krankenwagen ist direkt vor uns. Keine Sorge, so schnell verliere ich den nicht aus den Augen!“, entgegnet Raj ruhig. „Entschuldige.“, dreht Aryan den Kopf wieder zur anderen Seite und sieht wieder hinaus aus dem Fenster. Er bemerkt gar nicht, wie Raj den Wagen hält und zu sieht, wie die Liege mit Aryans Mutter ins Krankenhaus gefahren wird. Und genau da ist Raj erleichtert, als er zu seiner Rechten sieht und Aryan immer noch auf dem Beifahrersitz sitzen sieht. „Aryan. Kommst du? Wir sind da!“, meint er dann etwas leiser, ergreift dessen Schulter, der dann aus seinen Gedanken schreckt und ihn mit großen, leicht roten Augen
ansieht. Dann sieht er an ihm vorbei, zu dem leeren Krankenwagen und ist schneller aus geschnellt, als Raj ihm mit Blicken folgen kann. Drinnen angekommen, sieht er gleich den Arzt seiner Mutter, auf den er dann auch sofort zusteuert.

„Herr Singh... Wie geht es meiner Mutter?“
„Ganz ruhig, Herr Malhotra. Wir geben unser bestes. Aber sie ist keine 5 Minuten da, da kann ich noch nicht viel sagen. Setzen Sie sich doch erst mal hin und bleiben sie ganz ruhig. Da drinnen arbeiten meine Besten Männer, also seinen Sie zuversichtlich!“
„Danke.“
„Komm Aryan. Setz dich. Du zitterst ja am ganzen Körper. Du hast ja nicht mal so elend
ausgesehen, als dein Vater gestorben ist!“
„Das war etwas ganz anderes. Meine Mutter hat mir Kraft gegeben. Doch jetzt hab ich
niemanden mehr. Niemanden!“
„Bitte Aryan, jetzt benimm dich nicht wie ein kleines Kind. Ich kann dich verstehen. Aber hör auf, du verletzt dich damit nur selber.“
„Was soll ich denn tun? Ich will nicht, dass sie geht. Das Haus ist so verdammt groß. Und ohne sie so leer. Ich will gar nicht daran denken, wenn...“
„Jetzt ist gut. Ich sagte, du sollst aufhören. Ich bin mir sicher, dass der Arzt gleich raus kommt und verkündet, dass es deiner Mutter besser geht und sie schon bald wieder mit nach Hause kann.“

„Raj? Du bist ein wahrer Freund. Wenn ich dich nicht hätte... Ich glaub ich wüsste nicht was ich jetzt nicht tun würde.“
„Denk nicht mehr dran. Und beruhige dich erst mal etwas.“
„Nun gut.“
„Herr Malhotra?“
„Ja?. Wie geht es ihr, Herr Singh? Was können sie sagen, was haben sie festgestellt?“
„Ihre Mutter hat einen Herzinfarkt erlitten.“
„Und nun?
„Nun hab ich eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie!“
„Erst die gute bitte.“
„Ihre Mutter hat den Herzinfarkt gut überstanden.“
„Okay. Und die schlecht Nachricht?“
„Kurz nachdem wir ihr helfen wollten hat ihr Herz ausgesetzt. Es tut uns Leid, wir konnten nichts machen.“
„Oh, mein Gott...“

Aryan schwankt nach hinten. Dann hat sich gerade sein Pulsschlag gesunken und gelegt und schon rast sein Herz ununterbrochen gegen seine Brust. Er lässt sich wieder auf einen der Stühle sinken, schüttelt vehement mit dem Kopf und vergräbt dann sein Gesicht in seine Hände. „Nein. Nein, das kann einfach nicht sein. Mamaaa...“, meint er dann und sinkt von dem Stuhl hinunter auf seine Knie. Raj kniet sich zu ihm hinunter, legt ihm beide Hände auf die Schultern und sieht ihn besorgt an, auch der Arzt versucht ihn auf der anderen Seite mit aufzuhelfen. „Steh auf, Aryan.“, meint Raj ruhig und ergreift ihn dann so, dass er ihn hoch bekommt, mit Hilfe des Arztes. „Ich will sie sehen. Kann ich nochmal zu ihr?“, dreht sich Aryan dann dem Arzt zu. Dieser nickt nur vorsichtig. „Ja, klar.“, meint er dann und führt ihn zu dem Raum, in dem seine Mutter liegt. Aryan setzt sich neben
sie, auf einen Stuhl, betrachtet ihr Gesicht. Es ist blass, ihre Lippen ziert ein leichtes Lächeln. Sie scheint zufrieden zu sein. Er musste sie gehen lassen. Sie hat so gelitten in den letzten Monaten. Mehr als er. Und dennoch fühlt er diese elende Leere in sich aufsteigen. Diese Leere, die ihn vor Augen führt, dass er vollkommen allein ist...

„Mama?“
„Ich weiß, dass du mich hörst...“
„Warum jetzt? Warum ausgerechnet jetzt... Was soll ich ohne dich hier machen?“
„Ich hoffe dir geht es jetzt besser und ich hoffe du leidest dicht mehr so, wie in den letzten
Monaten.“
„Aryan?“
„Ja? Boah, Raj, hast du mich erschreckt.“
„Tut mir leid. Du sitzt hier fast 10 Minuten. Ich will es dir nicht schlimmer machen, als es ist. Kommst du? Ich bring dich nach Hause!“
„Ja, ich komme. Ist wohl das Beste.“
„Soll ich vor gehen? Und im Wagen warten?“
„Nein. Nein, bitte warte. Ich komme ja schon!“
„Ist gut.“
„Warte... - Mama? Tue mir einem Gefallen. Grüß Papa von mir!“


Die folgenden drei Tage bis zur Bestattung, seiner Mutter scheinen für ihn einfach nicht schneller zu kommen. Nicht, dass er es hinter sich haben wollte. Im Gegenteil, am liebsten hätte er nun die Zeit zurück drehen wollen. Warum hat er Suhana nicht angerufen, an dem Tag, warum hätte er dann nicht gleich ihrem Befehl Folge leisten können? Vielleicht hätte er ihr noch helfen können? Wie lange sie davor schon da gelegen haben musste? Das haben die Ärzte ihm nicht gesagt. Er hat gar nicht nach gefragt. Er war an dem Abend einfach nicht zurechnungsfähig, in einer ganz anderen Welt. Aber wie er gerade an sie denkt, fällt ihm Suhana ein. Er hat sie in den letzten Tagen nicht angerufen und sie ihn auch nicht. Ob sie sauer ist? Vielleicht hat sie es ja falsch verstanden, als er aufgelegt hat. Was er ja gar nicht hat.
Er ist bei den letzten Vorbereitung, für das Zerstreuen der Asche seiner Mutter, dabei doch so richtig konzentrieren kann er sich nicht. Aber das verstehen die Anwesenden und so wird er auch gar nicht erst wirklich in ihre Gespräche einbezogen, es sei denn es ist etwas wirklich Wichtiges. Und somit kommt der nächste Tag - der Tag der Bestattung - schneller als ihm lieb ist.

„Aryan? Oh, man hab ich mir Sorgen gemacht! Ich hab alles von Anju gehört, es tut mir so
unendlich leid. Wie kann ich nur...“
„Shhhhh. Sei einfach nur leise. Begleite mich jetzt einfach. Ich brauche jemanden, der mir Halt gibt, wenn ich jetzt gleich die Asche meiner Mutter dem Wasser übergebe...“
„Ist gut, ich bin still. Aber wie redest du denn mit mir? Du hast doch nicht dein Handy am Ohr!?“
„Nein, hab ich auch nicht. Ich hab dich im Ohr...“
„Ohhh. Ich verstehe.“
„Suhana?“
„Ja?“
„Ich wollte nur wissen ob du noch da bist.“
„Ich lass dich in so einer Situation doch nicht allein.“
„Danke. Ich danke dir wirklich wahnsinnig!“
„Keine Ursache. Und nun shhhh.“
„Das wäre mein Part gewesen.“
„Shhh, sagte ich.“

Ja, es klingt lächerlich, aber die zwei reden wirklich über ihr Handy und über sein Headset. Doch nun sind sie verstummt. Was  das heißt? Er sagt nichts mehr, lauscht ihrer Stimme. Sie muss etwas finden, womit er nicht ständig fragen braucht ob sie noch dran ist. Und kurz darauf fällt ihr auch schon etwas ein. Sie beginnt einfach leise zu summen. Irgendein Lied, das ihr gerade in den Sinn kommt. Dieses ist genau das, was sie im Radio gehört haben an dem Abend wie sie an der Brücke waren und getanzt haben. Wie er jedoch zu reden beginnt, bzw. zu beten verstummt sie. Sie schließt die Augen. Wie intensiv sie seine Stimme so wahr nehmen kann. Er muss sich beherrschen, das hört sie sofort, auch weil seine Stimme erstickt klingt. Aber das veranlasst sie nur, dass ihr selber die Tränen kommen. Nachdem er aufhört zu beten räuspert er sich einmal und wendet das Wort dann an sie. „Die Bestattung ist vorbei.“, beginnt er dann leise. „Soll ich auflegen?“, fragt
sie dann vorsichtig. „Nein. Bitte bleib. Jetzt kommen alle und sprechen ihr Beileid aus, ich kann das nicht allein!“, meint er leise. „Ist gut, ich bin bei dir.“, erwidert sie nur ruhig, wischt sich erst mal selber die Tränen unter den Augen fort.


***


„Suhana?“
„Anju. Was ist? Oh, hey Raj. Was ist denn los?“
„Hat Aryan dich in den letzten Tagen angerufen?“
„Nein, das letzte Mal an der Bestattung seiner Mutter. Warum, was ist denn los? Ist was passiert?“
„Nein. Oder doch. Keine Ahnung!?“
„Nun redet schon. Was ist los? Ist etwas mit Aryan?“
„Ganz ruhig. Er geht seit Tagen nicht ans Telefon. Weder auf der Arbeit ist er, noch ist er zu Hause, wenn ich bei ihm klingel. Wo kann er nur sein?“
„Wie? Er meldet sich gar nicht mehr. Oh, man. Das klingt gar nicht gut.“
„Wem sagst du das? Die Arbeiten an den Computern verzögern sich, seine Rede ist nicht mal Ansatzweise fertig und die Firma geht ohne ihn den Bach runter.“
„Wo könnte er nur sein, Suhana? Weißt du nicht etwas?“
„Nein, mir würde ni... Moment, doch... Ich glaub ich weiß wo er ist!“

„Suhana? Wo willst du denn hin?“
„Unwichtig, ich weiß wo er ist. Ich hole ihn wieder, keine Sorge. Und ihr braucht mir nicht
folgen. Ich schaffe das schon!“
„Hoffentlich ist er da auch. Ach, Aryan, verdammt nun nimm doch ab...“
„Aryan Malhotra...“
„Oh, man. Hey, Aryan, ich bin es. Jage mir nie wieder so einen Schrecken ein, hörst du!?“
„Ich weiß, dass du es bist. Schrecken warum? Und fährst du Auto? Schwangere Frauen sollen kein Auto fahren.“
„Ach, du wusstest es? Hast du deswegen abgenommen? Und warum dann nicht bei Raj, wenn er angerufen hat? Ja, ich fahre Auto und auch wenn ich es gehört hab würde es mich im Moment rein gar nicht interessieren.“
„Ich wollte eben nicht mit ihm reden. Ich brauchte einfach meine Ruhe.“
„Brauchte? Wo bist du gerade?“
„Okay, ich brauch sie immer noch. Das ist unwichtig!“
„Nein, ist es nicht... Aber ich bin dort auch.“

Suhana hält den Wagen, direkt hinter seinem und steigt dann aus. „Was meinst du?“, fragt er dann und hört dann neben sich eine Autotür zuschlagen. Er lässt das Handy sinken und sieht zu Suhana. Unterdessen drückt er auf den roten Knopf und Suhana lässt nun ebenfalls das Handy vom Ohr. Vorsichtig beginnt sie zu lächeln, während sie weiterhin zu ihm sieht. Auch er wendet nicht einmal den Blick von ihr ab, lehnt seitlich an seiner Motorhaube und bekommt den Blick einfach nicht von ihr los. Ja, genau, das hat er jetzt gebraucht. Sie! Ihre Gesellschaft. Einfach zu spüren, dass jemand da ist, jemand der ihn versteht. Jemand, der ihm viel bedeutet. Sie stellt sich direkt neben ihn, lässt das Handy in ihrer Hosentasche gleiten und sieht ihn dann an. Ihr Blick geht hinunter, zu seiner Hand. Kurz entschlossen, legt sie ihre auf seine und rückt ein weiteres Stück zu ihm. „Aryan. Hör
mal. Ich kann dich sehr gut verstehen, dass du deine Mutter vermisst. Aber du darfst dich nicht so hängen lassen. Ich kann dich nicht leiden sehen und hören auch nicht!“, meint sie dann, dreht sich leicht in sein Richtung und sieht ihn erst an. „Ach, wenn das doch nur so einfach wäre...“

Suhana steht nun dicht neben ihm, sieht ihn erst an versteht ihn dennoch vollkommen. Sie kennt das Gefühl allein zu sein. Seit vier Jahren muss sie immer wieder damit klar kommen, dass ihre Eltern nicht bei ihr sind. Und am schlimmsten ist es in ihren Geburtstagen, an Feiertagen oder an ihrem Todestag. Sie versteht also recht gut, wie er sich fühlen muss. „Aber warum sage ich dir das. Du weißt das sicher besser als ich… wie es ist ohne Eltern!“, meint er dann leise. Suhana öffnet die Augen weit. „Woher...?“, beginnt sie dann zu fragen, kommt allerdings nicht sehr weit, da dreht sich Aryan schon zu ihr um, von seiner Motorhaube ab und zur Seite. Nun stehen sich die beiden direkt gegenüber. „Ich weiß so einiges über dich Suhana.“, meint er dann und beginnt leicht zu lächeln. Sie senkt den Blick. „Ja. Das kommt mir auch so vor! Und es überrascht mich.“, meint sie dann leise. „Warum?“, fragt er dann, immer noch mit einem Lächeln. Ja, komischer Weise beginnt er in ihrer Gegenwart immer wieder zu lächeln, es lässt sich nicht verhindern. Als ob irgendetwas seine Mundwinkel anhebt, wenn er sie nur schon sieht, oder ihre Stimme hört. „Ich weiß nicht. Es ist einfach komisch.“

„Was ist komisch?“
„Na, dass du so viel weißt.“
„Du hast mir genug erzählt und das mit deinen Eltern hat sich im College rum gesprochen, aber das weißt du ja selber.“
„Oh, ja, das weiß ich noch. Es hat mich echt fertig gemacht! Und genau deswegen weiß ich, wie du dich jetzt fühlst.“
„Wenn du hier bist, dann fühle ich mich wesentlich besser. Es ist als ob plötzlich alles viel
einfacher scheint.“
„Hör auf. Ich mag es nicht, wenn du so redest...“
„Ich auch nicht. Aber ich kann es nicht verhindern, auch wenn ich es wollen würde!“
„Willst du es denn?“
„Dir zu liebe, ja. Aber egal was ich tue, ich schaff es nicht...“
„Warum nicht?“
„Ich weiß nicht. Deine Anziehungskraft vielleicht!“

Suhana schlägt ihm leicht gegen die Schulter, lacht leise auf und sieht dann zu ihm auf. Er sieht immer noch traurig aus, auch seine Augen schimmern noch von den Tränen. Doch seine braunen Augen schauen sie so treu und liebevoll an, dass sie fast Butter unter seinem Blick wird. Es ist herrlich zu sehen, wie viel Ausdruck er in Augen und Stimme legen kann. Wenn er jetzt den Mund öffnen würde und nur ein Wort sagen würde, sie glaubt, dann würde es vorbei sein. Er jedoch bleibt stumm, geht den letzten, möglichen, Schritt auf sie zu, sodass sich ihrer Körper berühren - dank ihrem kleinen Schwangerschaftsbauch. Vorsichtig hebt er die Hand, streift ihr an der Wange entlang, legt sich die Haarsträhne - die sich durch den kühlen Wind aus ihrem Zopf gelöst hat - zwischen Zeigefinder und Mittelfinger und schiebt sie ihr dann leicht hinters Ohr. Suhana schließt die Augen, lässt diese Berührung zu. Geniest sie und vergisst für einen Augenblick ihre eigen Probleme. Lässt sich fallen. Lässt die verdrängten Gefühle, ihm gegenüber, zu. „Du bist so schön.“, haucht er dann.

Er bemerkt, wie ihre Wangen leicht warm werden. Ja, auch sie kann etwas zu tiefst rühren. Noch nie hat sie Worte so ehrlich gehört. Vor allem nicht aus seinem Mund, nicht mit dieser wundervollen Stimme, die einem durch und durch gehen kann. Sie würde sich jetzt leicht zu ihm beugen, aber sie riskiert es lieber nicht. Wegen ihres Bauches. Aryan ergreift liebevoll ihr Gesicht. Ihre Anziehungskraft lässt ihn nicht widerstehen. Lässt ihn einfach nicht mehr klar denken. Lässt ihn wie automatisch, dass Gesicht zu ihrem wandern lassen. Sie hat die Augen immer noch geschlossen, und wie er ihren warmen und zarten, aber dennoch schnellen Atem auf seinen Lippen wahr nimmt schließt auch er langsam die Augen. Sie wartet gespannt darauf, dass er einfach tut, was er vor hat. Dass er sie einfach küsst. Er jedoch hofft, dass sie es wirklich will und sich nicht kurzfristig doch noch umentscheidet und sich von ihm abwendet. Doch sie tut nichts, wartet einfach weiter, greift allerdings in sein Hemd. Dies ist Einwilligung genug für ihn und er versiegelt seine Lippen mit ihren. Umschließt sie sanft und beginnt dem Kuss Leben ein zuhauchen. Auch sie schließt sich dem Treiben an, bis sie beide etwas stoppt.
Bilder ergreifen die Überhand in ihrem Vorhaben. Lassen sie veranlassen, dass sie nach einigen Sekunden schwer ausatmend voneinander lassen.

„Verdammt.“
„Wem sagst du das!“
„Diese verdammten Bilder. Es tut mir leid Aryan.“
„Nein, hör auf, Suhana. Was für Bilder?“
„Ach, du weißt schon...“
„Oh. Ach, ja. Keine Sorge, ging mir gerade genau so.“
„Ich will das sie aufhören. Ich werde den Vater nie finden. Und dann kann ich nicht mal richtig weiter machen. Nichts kann ich zu lassen!“
„Schhh. Bitte, Suhana. Ich wollte... Also, ich li...“
„Aryan! Darf ich dir etwas sagen?“
„Hey, ich wollte auch gerade etwas sagen. Danke fürs zu hören... Was willst du sagen?“
„Nein, ist schon in Ordnung, sag du was du zu sagen hast! Bitte!“
„Okay. Also, ähm... Suhana, ich... Ich… liebe dich.“